Wolf Graf von Baudissin
Demokratisierung der Bundeswehr
Mit dem Namen Wolf Graf Baudissin verbinden sich Begriffe wie »Bürger in Uniform« und »Innere Führung«.
Was hat es damit auf sich? Es wäre historisch ungenau, wollte man die Demokratisierung der Bundeswehr allein ihm zuschreiben. Reformpläne für die Armee gab es übrigens schon bei Scharnhorst und Gneisenau, als deren direkter Nachfahre er sich daher auch betrachtet. Aber aus unterschiedlichen Gründen sind solche Bestrebungen immer wieder nach kurzen Anläufen gescheitert. Erst nach 1950, mit dem Aufbau der neuen deutschen Streitkräfte, begannen sich neue Vorstellungen durchzusetzen, wenn auch bis heute sehr langsam und zäh.
Baudissin wurde als Referent der Abteilung »Innere Führung« ins Amt Blank gerufen, das damals junge und ideenreiche ehemalige Offiziere suchte. Der frühere Major vom Stabe Rommel war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung eines neuen Soldatentypus. Er erkannte, daß eine moderne Gesellschaft wie die unsrige einen geistig beweglichen Offizier braucht, der sich vor allem durch Intelligenz und Sachkenntnis auszeichnet, den Untergebenen als Mitarbeiter betrachtet und nicht bedingungslose Ausführung seiner Befehle erwartet, sondern mitdenkenden Gehorsam.
Sein Partner, der Staatsbürger in Uniform, soll sich seiner persönlichen Freiheit und seiner politischen Rechte klar bewußt sein, nur dann kann er dem hohen Anspruch als selbstverantwortlich handelnder Soldat voll gerecht werden. Baudissins Richtlinien sind von dem und jenem innerhalb der Bundeswehr als »weiche Welle« glossiert worden. Er selbst hat aber immer wieder betont, daß er die sportliche und technische Kampfschulung mit allem erforderlichen Drill und ungeminderter Disziplin für unerläßlich hält. Seine Thesen sind inzwischen in das Programm der Offiziersausbildung eingebaut worden, trotz aller Anfeindungen von außen und von innen.
Professor Ludwig Raiser
Ostpolitik
Als der Theodor-Heuss-Preis 1965 zum ersten Mal verliehen wurde, baten wir Professor Ludwig Raiser, die Festansprache zu halten. Er sprach »über den rechten Gebrauch der Freiheit«, und der Staatsrechtler Ludwig Raiser ging dabei von dem reichhaltigen Katalog unserer im Grundgesetz garantierten freiheitlichen Grundrechte aus, um gleich darauf den engagierten Demokraten Ludwig Raiser zu Wort kommen zu lassen, der besorgt darauf hinwies, wie »unsicher und wie schmal die ideelle Grundlage« sei, auf die sich die sogenannten »Väter der Verfassung« 1949 in Bann zu einigen vermochten.
Er sprach von der großen Popularität des Gebrauchs der Freiheitsrechte zum eigenen Vorteil, und er sprach von der geringen Neigung ihres Gebrauchs zur eigenen Verantwortung. Daran knüpfte er die Frage, wie ein politisches Gemeinwesen bestehen könne, dessen Glieder ihm weder gezwungen dienen noch freiwillig Opfer bringen wollen. Demokratie sei die Staatsform, die ihre Lebenskraft aus der tätigen Überzeugung ihrer Bürger ziehen müsse, nicht Nutznießer eines Apparates, sondern mitverantwortliche Träger des Gemeinwesens zu sein. Genau dafür, für diese tätige Überzeugung des Bürgers Ludwig Raiser gibt es viele Beispiele; denn niemals und bei keinerlei Gelegenheit fühlte er sich als »Nutznießer eines Apparates« – sei dieser Apparat die von ihm in den schwersten Nachkriegsjahren geleitete Universität Göttingen gewesen oder die in Notzeiten aufgebaute »Deutsche Forschungsgemeinschaft«, sei es die Rektorenkonferenz oder der Wissenschaftsrat, dessen Mitglied er 1958 auf Drängen von Theodor Heuss wurde, und dessen Präsidentschaft er von 1961-1965 inne hatte, oder sei es sein politisches Engagement, das im »Tübinger Memorandum« seinen Niederschlag fand und seine maßgebliche Mitarbeit im Rat der Evangelischen Kirche und in ihrem Ausschuß für Öffentlichkeitsarbeit, von dessen Mitgliedern die heiß umstrittene Denkschrift zur Vertriebenenfrage verfaßt und veröffentlicht wurde: Immer und zu jeder Zeit fühlte sich Ludwig Raiser als »mitverantwortlicher Träger des Gemeinwesens« oder – wie es Theodor Heuss vielleicht ausgedrückt hätte – als ein »Demokrat, der im Menschen den Bruder erkennt und an die fruchtbare Kraft des freien Bürgers glaubt!«
Wenn ich es vielleicht ein wenig despektierlich, dafür aber um so anschaulicher ausdrücken darf: Der Theodor-Heuss-Preis ist Ihnen, verehrter Professor Ludwig Raiser, und Ihrem Wirken auf den Leib geschrieben: Sie haben nämlich nicht nur eine, sondern gleich alle möglichen Bestimmungen unserer Satzung erfüllt: Vorbildliches demokratisches Verhalten, Zivilcourage angesichts schwerer öffentlicher Anfeindungen, schöpferische Initiative und ein geschärftes Verantwortungsbewußtsein für unsere Staats- undLebensform. Keiner unserer Preisträger hat für sein Wirken und bei der Erfüllung freiwillig übernommener Verantwortung einhellige Zustimmung in der Öffentlichkeit gefunden, oft sogar offene Anfeindung und Widerstände – und selbst unserer kleinen Stiftung ist es nicht viel besser ergangen, aber »der Dienst an der Freiheit ist eben ein harter Dienst«, das pflegte schon der Vater von Theodor Heuss dem jungen Sohne einzuschärfen, und jeder von uns hat diese Erfahrung in der öffentlichen Auseinandersetzung mehr als einmal erlebt und erlitten. Zu guter Letzt aber hat uns dieser harte Dienst an der Freiheit noch immer bereichert, reif gemacht und frei – und das ist wahrhaft Grund genug, ihn zu leisten.