Begrüßung
Ludwig Theodor Heuss
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
zum sechzigsten Mal begehen wir heute die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises – eine Feierstunde der Demokratie. Es ist ein Jubiläum, das uns mit Stolz erfüllt – und zugleich mit Sorge. Denn selten zuvor fiel es uns schwerer, ein demokratisches Fest der Zuversicht zu feiern.
Unser diesjähriges Motto lautet:
„Für Demokratie gewinnen! Europas Verantwortung für Menschenwürde und Frieden.“
Ein schöner Satz. Und ein schwerer Satz. Denn die Realität, in der wir heute zusammenkommen, ist eine beunruhigende: Es herrscht Krieg in Europa und das westliche Wertefundament hat tiefe Risse bekommen. Russlands Angriffskrieg markiert einen neuerlichen zivilisatorischen Bruch. Die Gewalt, die Willkür, das kalkulierte Grauen zerstören nicht nur Städte und Leben – sie richten sich gegen die Grundlage freiheitlichen Zusammenlebens.
Im Schatten dieses Krieges kämpft auch ein kleines Land um seine demokratische Existenz: die Republik Moldau. Lange Zeit galt sie als Spielball der geopolitischen Kräfte zwischen Ost und West. Heute ist sie ein Beispiel für Standhaftigkeit, Reformwillen – und Hoffnung.
Deshalb zeichnen wir in diesem Jahr Maia Sandu, Präsidentin der Republik Moldau, mit dem Theodor-Heuss-Preis aus. Ihr klarer Kurs für Demokratie, Rechtsstaat und europäische Integration verdient höchste Anerkennung – und unsere Unterstützung.
Meine Damen und Herren, lange Zeit war es unsicher, ob Frau Sandu persönlich kommen könnte. Aufgrund der aktuellen innenpolitischen Lage war es ihr nun zuletzt leider nicht möglich zu reisen. Umso mehr danken wir Herrn Igor Zaharov, ihrem Sprecher im Präsidialamt, der heute stellvertretend für die Preisträgerin anwesend ist. Herzlich willkommen! Und ich begrüsse an dieser Stelle auch Herrn Eugen Friesen, den Honorarkonsul der Republik Moldawien,
Ich begrüße auch die Vertreterinnen und Vertreter der drei Initiativen, die wir mit der Theodor-Heuss-Medaille 2025 ehren dürfen – für ihr herausragendes zivilgesellschaftliches Engagement:
Aus Sant’Anna di Stazzema und Stuttgart begrüße ich stellvertretend für die Initiative Campo della Pace:
Massimo Pieri, Petra Quintini, Dominik Sulz und für die Initiatoren Elke Banabak, Benjamin Schad und Kilian Harras.
Für die Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS e.V.):
Georg Ziegler, Kirill Kappes, Grzegorz Paciecha und Zdenek Šedivý.
Und aus Döbeln begrüße ich die Vertreter:innen des Treibhaus e.V.:
Judith Schilling und Stephan Conrad.
Danke, dass Sie heute hier sind. Ihre Arbeit ist ein Leuchtfeuer demokratischer Kultur – nicht im Rampenlicht, aber mit umso größerer Wirkung.
Ein besonderer Gruß gilt unserem heutigen Festredner, Jean Asselborn, langjähriger Außenminister Luxemburgs. Kaum jemand hat die europäische Außenpolitik über zwei Jahrzehnte hinweg so geprägt – mit Klarheit, Verlässlichkeit und einem unverrückbaren Wertekompass. Lieber Herr Asselborn – wir freuen uns auf Ihre Gedanken!
Ich begrüße ebenso herzlich Frau Bürgermeisterin Isabel Fezer, die gleich das Grußwort der Landeshauptstadt Stuttgart sprechen wird – vielen Dank liebe Isabel für Deine beständige Unterstützung.
Wir vermissen heute leider Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, unsere stellvertretende Vorsitzende. Aus gesundheitlichen Gründen konnte sie nicht anreisen. Wir wünschen ihr von Herzen gute Besserung.
Stellvertretend wird Prof. Gesine Schwan, Vorsitzende unseres Kuratoriums, das Schlusswort übernehmen. Danke, liebe Gesine.
Ein besonderer Moment unserer heutigen Veranstaltung wird das Podiumsgespräch zum Jahresthema sein – zugleich eine Begegnung von Preisträger:innen verschiedener Jahre, aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen biografischen Erfahrungen, vereint durch die gemeinsame Überzeugung:
Igor Zaharov, Sprecher von Maia Sandu,
Irina Scherbakowa, Mitbegründerin von Memorial, Preisträgerin 2022,
Attila Mong, ungarischer Investigativjournalist von Atlatszo.hu, Medaillenträger 2015.
Moderiert wird dieses Gespräch von Anna-Lena von Hodenberg, Preisträgerin 2023, Geschäftsführerin von HateAid, und inzwischen auch Mitglied unseres Kuratoriums. Liebe Anna-Lena von Hodenberg, danke für Ihre Bereitschaft, dieses Gespräch zu leiten – und mit ihnen begrüsse ich auch die weiteren über zwanzig ehemaligen Preis- und Medaillenempfänger:innen, die heute unter uns sind.
Und auch musikalisch begleiten uns zwei Persönlichkeiten, die der Stiftung eng verbunden sind:
Zum einen der Stuttgarter Steinway Artist Maximilian Schairer, erst 27 Jahre jung, aber 2012 und 2015 schon einmal bei uns aufgetreten, der uns am Klavier musikalisch umrahmen wird – herzlich willkommen und danke für Ihre musikalische Handschrift.
Und zum anderen, kontrapunktisch im musikalischen Spannungsbogen unser Kuratoriumsmitglied Sebastian Krumbiegel, , dessen Stimme und Haltung wir sehr schätzen – schön, dass Du auch in diesem Jahr wieder dabei bist.
Ich grüße alle Mitglieder unserer Gremien, unsere ehemaligen Preisträger:innen, die Vertreter:innen aus Politik, Zivilgesellschaft, Medien, unsere Förderinnen und Förderer – und nicht zuletzt: unsere Freundinnen und Freunde der Stiftung. Viele von Ihnen begleiten uns seit Jahren, manche seit Jahrzehnten. Ohne Ihre Treue, Ihre Ermutigung, Ihre Unterstützung wäre dieser Preis nicht das, was er ist: Eine Stimme der Demokratie – unabhängig, werteorientiert, und immer aktuell. Und lassen sie mich zwei besonders begrüssen: Renate Liesman-Baum und Christiane Dahrendorf. Schön dass Sie hier sind.
Denn die Realität, meine Damen und Herren, verlangt uns in dieser Zeit viel ab. Europa und die Welt sind in vielen Bereichen aus den Fugen geraten. Die Kräfte der Autokratie sind stark. Doch der Mut dagegen zu halten muss stärker sein. Unser Wille, zur Demokratie zu ermutigen und für Demokratie zu begeistern, ist gefragt – dringlicher denn je.
Seien Sie uns herzlich willkommen zur 60. Verleihung des Theodor-Heuss-Preises.
Und lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen.
Laudatio auf Maia Sandu
Ludwig Theodor Heuss
Der Mut, gegen den Strom zu schwimmen
«An mächtigen Gegnern hat es Maia Sandu nie gefehlt. Seit dem Tag, an dem sie in ihrem Heimatland Moldau in die Politik eingetreten ist, hat sie der Korruption den Kampf angesagt. wurde sie von einem Kartell mächtiger Oligarchen bekämpft, das in dem kleinen postsowjetischen Land seit Jahren die Fäden in der Hand hielt.» So räsonierte die Neue Zürcher Zeitung 2021, kurz vor der damaligen moldauischen Parlamentswahl. Und seither hat sich nichts geändert. Es gibt Menschen, die in Zeiten des Umbruchs nicht den bequemeren, sondern den richtigen Weg wählen. Maia Sandu ist eine von ihnen. Ihre politische Biografie ist kein Produkt der Gewohnheit, sondern ein Akt des Widerstands – gegen ein System, das von Korruption, Einflussnahme und Machtmissbrauch geprägt war. Gegen äußere Kräfte, die ihr Land in die Vergangenheit zurückziehen wollen. Und für eine Idee, die weit über ihre Heimat hinausstrahlt: die Idee eines freien, demokratischen Europas.
Im Jahr 2020, mitten in einer von globalen Krisen und wachsender geopolitischer Unsicherheit geprägten Zeit, wurde Maia Sandu zur Präsidentin eines Landes gewählt, das viele in Westeuropa kaum kannten – der Republik Moldau. Ein kleines Land mit rund 2,5 Millionen Einwohnern – eingeklemmt zwischen der Ukraine und Rumänien, historisch zerrissen, wirtschaftlich schwach und geopolitisch unter ständigem Druck.
Doch unter Sandus Führung wurde Moldau zu mehr als einem Namen auf der Landkarte. Es wurde zum Symbol – für Aufbruch, für Entschlossenheit, für europäische Verantwortung.
Wenn man über sie spricht, dann denkt man nicht an die Inszenierung der Macht. Sondern an die stille Kraft, die aus Haltung erwächst. Die Bereitschaft, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Die Fähigkeit, Rückschläge zu ertragen, ohne den Kurs zu verlieren. In einer Zeit, in der viele das Vertrauen in die Politik verlieren, zeigt sie, was politisches Ethos bedeuten kann.
Wir ehren heute nicht nur eine besondere Präsidentin. Wir ehren eine Wegbereiterin. Eine Reformerin. Eine Verteidigerin der Demokratie – und ein Vorbild für Europa.
Maia Sandu wurde 1972 im kleinen Dorf Risipeni im Norden der damaligen Moldauischen Sowjetrepublik geboren. Sie wuchs in einem von Zentralismus und Kontrolle geprägten Land auf – durchzogen von Angst und Anpassung. Und doch empfand sie ihre Kindheit als glücklich: Vater Tierarzt, Mutter Lehrerin, zwei fleißige Töchter.
In Chișinău studierte sie Betriebswirtschaftslehre und anschließend Internationale Beziehungen – eine interessante Wahl in der Spätzeit der Sowjetunion, der man wohl eher dysfunktionale Verwaltungsstrukturen zubilligen würde. Bereits in den letzten Jahren vor der staatlichen Unabhängigkeit hatte Sandu einen klaren Plan: Sie wollte die Dinge von innen verändern.
Die richtige Gelegenheit dazu kam mit einem Stipendium für die Kennedy School of Government der Harvard University, die sie 2010 mit einem Master abschloss. Eine Studienzeit im Umfeld einer globalen Elite, die sie fachlich und persönlich geprägt hat. Es folgte eine Tätigkeit als Beraterin eines Executive Directors bei der Weltbank in Washington, D.C.
Viele wären geblieben, hätten eine internationale Karriere in New York, Paris oder Genf angestrebt – Sandu aber kehrte zurück nach Chișinău: nicht aus Nostalgie, sondern aus Verantwortung. Schon am Abend der Graduation Party in Boston hatte sie ihren Professoren versprochen, das Gelernte ihrem Heimatland zugutekommen zu lassen.
Und sie wurde gebraucht: 2012 übernahm Sandu das Amt der Bildungsministerin – und stellte sich entschlossen gegen verkrustete Strukturen.
Mit klaren Reformen, mehr Transparenz bei Schulbüchern, besseren Prüfungsstandards und der Bekämpfung von Korruption in Universitäten setzte sie Zeichen. Doch der Widerstand war massiv – sowohl politisch als auch wirtschaftlich motiviert. Lehrer und Professoren, die sich jahrelang in informellen Netzwerken eingerichtet hatten, protestierten gegen die neue Strenge. Und dennoch: Sandu blieb standhaft. Ihr Ziel war nicht der Applaus der Straße, sondern die langfristige Glaubwürdigkeit des Staates.
Nach ihrem Rücktritt 2015 gründete sie die Partei PAS – „Partei Aktion und Solidarität“. Ihre Partei war klein, ihre Ressourcen begrenzt. Und doch mobilisierte sie ein Netzwerk aus jungen Menschen, aus Diaspora-Moldauern, aus Desillusionierten, die wieder Hoffnung schöpften.
Bei den Präsidentschaftswahlen 2016 unterlag sie noch knapp dem prorussischen Kandidaten Igor Dodon. Doch schon damals zeichnete sich ab: Diese Frau würde nicht aufgeben.
Die kommenden Jahre waren geprägt vom Aufbau: institutionell, parteiintern, kommunikativ. Sandu gelang es, die PAS zur stärksten reformorientierten Kraft des Landes zu machen. 2019 wurde sie für kurze Zeit Premierministerin. Doch ihre Regierung hielt nur wenige Monate – zu stark waren die Kräfte der alten Oligarchie, die sich von ihren Antikorruptionsmaßnahmen bedroht fühlten. Ein Misstrauensvotum des sozialistischen Koalitionspartners beendete diese erste Regierungszeit. «Ende eines Reformsommers» titelte damals der Spiegel, und Sandu selbst erklärte klar: „Die Diebe im Parlament hatten Angst vor unseren Reformen.“ Doch sie erwies sich nicht als Niederlage, sondern als Prüfung. Maia Sandu bestand sie mit Würde. Sie blieb sichtbar, aktiv und glaubwürdig – eine Konstante im politischen Diskurs.
Als sie im November 2020 erneut für das Präsidentenamt kandidierte, war sie keine Unbekannte mehr, sondern die Hoffnungsträgerin all jener, die Moldau nicht aufgeben wollten. Und sie siegte – deutlich, mit über 57 Prozent der Stimmen. Ein historischer Moment: Zum ersten Mal wurde eine Frau Präsidentin der Republik Moldau. Und zum ersten Mal stand jemand an der Spitze des Staates, der den politischen Wandel nicht nur versprach, sondern verkörperte.
Ihr Sieg war mehr als ein Wahlerfolg. Es war ein zivilgesellschaftliches Signal: gegen Klientelismus, gegen Fremdbestimmung, gegen Resignation. Und für Europa.
Mit dem Wahlsieg 2020 beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Republik Moldau – und zugleich ein fundamentaler Wandel in der politischen Kultur des Landes. Maia Sandu übernimmt das Amt der Präsidentin mit einer Agenda, die in ihrer Klarheit ebenso kompromisslos wie hoffnungsvoll ist: Korruption bekämpfen, den Rechtsstaat stärken, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen zurückgewinnen – und das Land fest auf einen pro-europäischen Kurs bringen.
Schon in den ersten Monaten initiiert sie personelle Reformen in der Justiz, stärkt die Unabhängigkeit der Korruptionsbekämpfungsbehörde und benennt Missstände offen – auch wenn sie dadurch mächtige Gegner auf sich zieht. Ihre Reformpolitik stößt auf Widerstand in der alten Elite, in Teilen der Wirtschaft, in Kreisen, die ihre politischen und finanziellen Privilegien bedroht sehen. Aber Sandu bleibt unbeirrt. Im Korruptionsperzeptionsindex von Transparency International gehört Moldau zu den drei Ländern mit der signifikantesten Verbesserung seit 2019 – um über 11 Punkte! Reporter ohne Grenzen quantifiziert die Entwicklung der Pressefreiheit in Moldau seit Beginn ihrer Präsidentschaft: von Platz 89 auf Rang 28 im Jahr 2023. Desinformation und Druck durch den Ukrainekrieg resultierten im letzten Jahr in Rang 35.
Gleichzeitig gelingt es ihr, das internationale Vertrauen in die Republik Moldau zu stärken. Westliche Staaten, allen voran die Europäische Union, erkennen in ihr eine verlässliche Partnerin. Im Juni 2022 erklärt die Europäische Kommission Moldau zum Beitrittskandidaten – ein historischer Schritt, der ohne Sandus konsequenten Kurs nicht denkbar gewesen wäre.
Doch ihre Präsidentschaft zielt nicht allein auf internationale Anerkennung, sondern auch auf tiefgreifende innenpolitische Erneuerung. Sie versteht sich als Anwältin der Bürgerinnen und Bürger – besonders jener, die sonst keine Stimme haben. In vielen Regionen des Landes reist sie persönlich, spricht mit Lehrerinnen, Landärzten. In einem Interview betont sie: Social Media sei hilfreich, aber noch wichtiger sei der direkte und authentische Kontakt mit den Menschen. Den sucht sie auch mit jungen Unternehmern, mit Eltern, die ihre Kinder ins Ausland schicken müssen, weil es zuhause keine Perspektive gibt. Die moldauische Diaspora umfasst mehr als ein Drittel der Staatsbürger. Sie sind ein wesentlicher Teil des Bruttosozialprodukts und der Zukunft des Landes. Sie sind auch ein wesentlicher Träger der Reformen und Garant der demokratischen Entwicklung.
Maia Sandus Stärke liegt in der Verbindung von Integrität und Pragmatismus. Sie verbindet moralische Klarheit mit administrativer Präzision – etwa in ihrem konsequenten Vorgehen gegen Korruption und ihrer pragmatischen Kommunikation mit der Bevölkerung. Und sie gibt dem Land etwas zurück, das lange verloren schien: politische Würde.
„An mächtigen Gegnern hat es Maia Sandu nie gefehlt“ – doch was in den Jahren nach ihrer Wahl zur Präsidentin geschah, war mehr als politischer Gegenwind. Der amerikanische Podcaster Ralph Ranalli bezeichnete sie in einem Beitrag der Harvard Kennedy School als «tightrope walker in a hurricane», also als «Seiltänzerin im Wirbelsturm». Es kamen die Corona-Pandemie mit der nachfolgenden Wirtschaftskrise und vor allem ab Februar 2022 der Krieg im Nachbarland Ukraine. Über eine halbe Million Flüchtlinge sind nach Moldau gelangt und mehr als 120.000 auch dort geblieben. Der Konflikt wurde zusätzlich erschwert durch die Existenz von zwei abtrünnigen Provinzen: Transnistrien mit rund 3.000 stationierten russischen Soldaten und Gagausien, von wo aus man die Bombardements der ukrainischen Stadt Odessa hören kann. Was das Land seither erlebte, war und ist ein Angriff auf die Grundfesten der moldauischen Demokratie – systematisch, orchestriert und international gelenkt. Im Zentrum: die Russische Föderation, die in Sandus Kurs eine Bedrohung sieht – nicht militärisch, sondern ideologisch.
Schon kurz nach ihrer Wahl intensivieren sich die Aktivitäten prorussischer Akteure im Land. Medien, die offen Desinformation verbreiten, Parteien, die von dubiosen Geldern unterstützt werden, soziale Netzwerke, die mit Falschmeldungen überschwemmt werden – all das ist Teil eines hybriden Krieges gegen die Reformregierung Sandus. In Regionen wie Gagausien oder Transnistrien, wo russische Narrative ohnehin stark sind, wird die EU als kriegstreibende Kraft, als Feind traditioneller Werte und als angebliche Bedrohung dargestellt.
2024 erreicht die Desinformationskampagne ihren Höhepunkt: Bei einem landesweiten Referendum soll entschieden werden, ob der EU-Beitritt als Ziel in der Verfassung verankert wird. Die Abstimmung wird zur Nagelprobe für Sandus politischen Kurs. Doch das Ergebnis fällt ernüchternd aus: Nur eine knappe Mehrheit von 50,46 Prozent spricht sich dafür aus – ein Vorsprung von gerade einmal 13.800 Stimmen. Und das, obwohl Umfragen zuvor eine deutliche Zustimmung erwarten ließen.
Die Präsidentin reagiert ungewohnt offen: In einer eindringlichen Rede spricht sie von einem „beispiellosen Angriff auf die Freiheit und die Demokratie“. Sie benennt Ross und Reiter: prorussische Netzwerke, unterstützt durch den im Exil lebenden Oligarchen Ilan Șor, hätten über 100 Millionen Euro in Stimmenkauf, Propaganda und gezielte Mobilisierung investiert. Der moldauische Geheimdienst berichtet von Trainingslagern für Unruhestifter in Russland, Serbien und Bosnien – teils mit Verbindungen zur berüchtigten Wagner-Gruppe.
Doch Sandu bleibt auch in dieser kritischen Phase klar und besonnen. Sie ruft nicht zur Eskalation auf, sondern zu Wachsamkeit und demokratischer Geschlossenheit. Sie appelliert an die europäischen Partner, Moldau nicht allein zu lassen – und setzt auf die Kraft der Institutionen. Nicht Vergeltung, sondern Aufklärung ist ihre Antwort.
Im November 2024 gewinnt Maia Sandu die Präsidentschaftswahl in einer Stichwahl erneut. Doch die Lage bleibt angespannt. Der Krieg im Nachbarland hält an, der hybride Krieg durch Desinformation und Stimmenkauf ebenso. Im Herbst 2025 stehen Parlamentswahlen bevor – ein weiterer Lackmustest für den europäischen Reformkurs.
Und wie so oft gilt auch hier: „It’s the economy, stupid!“ Der durch Reformen ermöglichte wirtschaftliche Aufschwung muss bei den Menschen ankommen. Nur wenn spürbare Verbesserungen den Alltag der Bevölkerung erreichen, wird sich das Vertrauen in die Demokratie nachhaltig festigen.
Darum ruft Sandu zur weiteren Unterstützung der Ukraine auf – aber auch zur Hilfe für Moldau. „Wenn die Demokratien an ihrer Peripherie scheitern,“ sagt sie sinngemäß, „dann wird auch das Herz Europas nicht sicher bleiben.“ Sie spricht nicht nur als Präsidentin eines kleinen Landes, sondern als überzeugte Europäerin – mit Klarheit, Haltung und Mut.
„Eine der glaubwürdigsten Stimmen für Europas Werte kommt von seiner Ostgrenze“, schrieb die Financial Times.
Wir ehren heute keine Ikone. Wir ehren eine Demokratin im besten Sinne. Eine Frau, die weiß, dass Politik nicht in Reden, sondern in Taten gemessen wird. Die nicht nur für ihre Ideale kämpft, sondern mit ihrer Persönlichkeit bezeugt, dass diese Ideale lebbar sind.
Maia Sandu hat uns gezeigt, was möglich ist: in einem von Spaltungen gezeichneten Land, unter dem Druck autoritärer Mächte, inmitten wirtschaftlicher Unsicherheit und politischer Müdigkeit. Sie hat Hoffnung gemacht, wo Resignation war. Klarheit gebracht, wo Verwirrung herrschte. Und vor allem: Vertrauen verdient, wo Misstrauen zum Alltag gehörte.
In einer Welt, in der sich immer mehr Menschen nach Orientierung sehnen, ist sie eine moralische Landmarke. Keine Heilsbringerin. Kein Mythos. Sondern ein Vorbild. Ein Mensch, der mit leisen Mitteln Großes bewegt.
Wir danken ihr heute – im Namen der Demokratie, im Namen Europas, im Namen jener, die glauben, dass Politik wieder glaubwürdig sein kann. Und wir hoffen, dass ihr Weg noch lange nicht zu Ende ist. Denn die Welt braucht Stimmen wie die ihre.
Grußwort Ministerpräsident Winfried Kretschmann
Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche. Globale Krisen und politische Spannungen fordern unsere Gesellschaft heraus – und mit ihr die Grundlagen unserer Demokratie. Frieden, Freiheit und Wohlstand galten in Europa lange als sicher – diese Gewissheit ist nun ins Wanken geraten. Das hat uns der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine deutlich vor Augen geführt. Gleichzeitig säen Populisten mit Lügen und gezielter Spaltung Misstrauen und untergraben das Vertrauen in demokratische Institutionen. All das macht deutlich: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Sie muss immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden.
Die Theodor Heuss Stiftung macht mit ihrer Arbeit sichtbar, was unsere Demokratie im Kern trägt: das mutige Engagement von Menschen, die Verantwortung übernehmen und unser Miteinander stärken. Bereits zum 60. Mal zeichnet die Stiftung mit dem gleichnamigen Preis verdiente Persönlichkeiten und Initiativen aus, die genau dafür einstehen. Das Motto der diesjährigen Würdigung – „Für Demokratie gewinnen! Europas Verantwortung für Menschenwürde und Frieden“ – ist mehr als ein Leitspruch. Es ist ein Appell an ein Europa, das aus den Trümmern zweier Weltkriege erwachsen ist und klar dafür einsteht, dass Zusammenarbeit stärker ist als Abgrenzung – und das Menschenrechte nicht zur Disposition stehen. Denn Demokratien leben nicht allein von Institutionen. Sie
benötigen Menschen, die nicht wegsehen, die widersprechen und mitgestalten. Der Preis steht für diesen Mut – gerade dort, wo Intoleranz, Ausgrenzung und Hass unsere offenen Gesellschaften bedrohen.
„Wo es politischen Willen gibt, gibt es echte Reformen.“ Mit diesem klaren Bekenntnis beschreibt die 60. Theodor Heuss Preisträgerin Maia Sandu den Weg, den sie als Präsidentin der Republik Moldau entschlossen verfolgt. Sie steht für demokratischen Aufbruch, Integrität und den festen Glauben an Veränderung. Ihr Ziel: ein freies, gerechtes und europäisch verankertes Moldau. Sandu reformiert nicht nur Gesetze, sondern das Vertrauen der Menschen in die Politik. Trotz Widerstand und Druck durch Russland hält sie unbeirrt Kurs. Der EU-Beitritt ist für Sandu nicht bloß politische Strategie, sondern die Hoffnung auf eine sichere, rechtsstaatliche Zukunft. Präsidentin Sandu zeigt, dass Mut und Überzeugung ein Land neu gestalten können.
Mit der Theodor Heuss Medaille 2025 werden drei Initiativen geehrt, die auf besondere Weise ebenfalls für die Demokratie einstehen: Der sächsische Verein Treibhaus e.V. schafft mit Bildung, Kultur und Begegnung lebendige Räume für ein vielseitiges demokratisches Miteinander – gerade im ländlichen Raum. Das „Campo della Pace“ sensibilisiert Jugendliche für die Schrecken der NS-Zeit und zeigt: Wer die Geschichte kennt, kann Verantwortung übernehmen, Extremismus entgegenwirken und sich für den Frieden und für Menschenrechte einsetzen. Die Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS)
e.V. wiederum verbindet Studierende über Grenzen hinweg und stärkt ein wissenschaftliches Netzwerk, das sich für Völkerverständigung einsetzt. Als Ministerpräsident erfüllt es
mich mit besonderer Freude, dass die zwei letzten Initiativen ihre Wurzeln in Baden-Württemberg haben.
Die diesjährigen Auszeichnungen machen Mut und zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig und demokratisches Engagement gelebt wird. Sie erinnern uns daran, dass jede und jeder von uns Verantwortung trägt – für Freiheit, Zusammenhalt und ein friedliches Europa. Für die klare Botschaft danke ich dem Vorsitzenden der Stiftung Prof. Dr. Ludwig Theodor Heuss.
Winfried Kretschmann
Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg
Grußwort Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper
Liebe Mitglieder der Theodor Heuss Stiftung,
liebe Freundinnen und Freunde der Demokratie,
seit 60 Jahren wirkt die Theodor Heuss Stiftung als unermüdliche Hüterin demokratischer Werte – durch politische Bildung, durch Dialog und durch die Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements. 1964 in München gegründet, ist sie nun bereits 40 Jahre in Stuttgart beheimatet. Mit dem Theodor Heuss Preis und den Theodor Heuss Medaillen zeichnet die Stiftung jedes Jahr engagierte Menschen und Initiativen aus, die das demokratische Miteinander stärken. Nicht umsonst zählen die Auszeichnungen zu den bedeutendsten Demokratiepreisen Deutschlands.
Was macht das Andenken an Theodor Heuss bis heute so lebendig? Er war einer der Väter des Grundgesetzes und hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die zweite deutsche Demokratie glückte. Die Aussöhnung mit den Kriegsgegnern lag Theodor Heuss ebenso am Herzen wie ein moderner und toleranter Staat mit einer engagierten Bürgerschaft. Die Deutschen liebten und achteten ihren „Papa Heuss“. Auch im Ausland war er ein Sympathieträger und geschätzter Repräsentant der jungen Bundesrepublik. Seine Sprachmelodie, sein feiner Humor und die Dialektfärbung seiner Reden machten ihn zudem zum besten Botschafter eines weltoffenen Schwabentums.
Zu Stuttgart hatten Theodor Heuss und seine Frau, Elly Heuss-Knapp, eine besonders innige Verbindung. Bereits als junge Verlobte träumten sie davon, sich in Stuttgart niederzulassen. Theodor Heuss selbst bezeichnete Stuttgart als seine „Lieblingsstadt“. Hier formten sich seine politischen Überzeugungen, hier fand er seine intellektuelle Heimat und hier verbrachte er schließlich auch seinen Lebensabend. Als ihm die Stadt Stuttgart 1954 die Ehrenbürgerwürde verlieh, bekannte er: „Hier sind die tiefsten Wurzeln meiner Kraft.“
Diese Wurzeln wirken bis heute fort – nicht zuletzt durch die Theodor Heuss Stiftung. Sie hält das politische und persönliche Erbe Heuss‘ lebendig und erinnert daran: Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie muss täglich gelebt und gestaltet werden. Und wenn es notwendig ist, muss die Demokratie auch gegen ihre Feinde verteidigt werden. Mit dem Theodor Heuss Preis setzt die Stiftung ein starkes Zeichen. Die Liste der Preisträgerinnen und Preisträger ist beeindruckend. Sie umfasst Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt, Richard von Weizäcker, Václav Havel, Ralf Dahrendorf, Jürgen Habermas, Daniel Cohn-Bendit oder Christo. Auch im Jubiläumsjahr 2025 würdigt die Stiftung herausragendes Engagement – die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, sowie drei bemerkenswerte zivilgesellschaftliche Projekte. Erkennbar ist bei allen Preisträgern: Es steht keine politische Gesinnung im Vordergrund. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten und Projekte, deren Leistungen die Demokratie in unserem Land und darüber hinaus intellektuell, moralisch und auch ganz praktisch voranbringen. Das ist wichtiger denn je, denn wir müssen leider feststellen, dass Tugenden des demokratischen Zusammenlebens wie Mäßigung und Rücksichtnahme, Verständnis und Toleranz – Tugenden für die Theodor Heuss immer wieder eintrat – zunehmend in Frage gestellt werden.
Ich danke der Theodor Heuss Stiftung für ihre wertvolle Arbeit, für ihren klugen Blick auf Geschichte und Gegenwart und für ihren Beitrag zur demokratischen politischen Kultur in unserem Land. Zum 60. Jubiläum gratuliere ich im Namen der Landeshauptstadt Stuttgart herzlich und wünsche der Stiftung weiterhin Weitblick, Mut und Wirkungskraft. Die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträgern beglückwünsche ich ebenfalls herzlich. Sie alle erfüllen das Vermächtnis von Theodor Heuss auf eindrucksvolle Weise.
Dr. Frank Nopper
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart