Theodor Heuss Medaille gestaltet von Prof. Karl Ulrich Nuss

Die Stiftung

„Die Worte Demokratie und Freiheit sind nicht bloß Worte, sondern lebensgestaltende Werte“


(Theodor Heuss in seiner Antrittsrede im Bonner Bundeshaus nach seiner Vereidigung zum 1. Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland)

 

1.       Wofür wir stehen und was wir wollen

Wir stehen für eine starke Demokratie. Wir wollen Begeisterung für Demokratie wecken, sie fördern und den Rechtsstaat und die Menschenrechte stärken. Denn die Demokratie, das hat sich immer wieder erwiesen, ist eine äußerst fragile Konstruktion.

Wir verstehen Demokratie als „Lebensform“. Darum wollen wir aktives demokratisches Engagement sichtbar machen und Impulse für Partizipation, Initiative und Engagement in einer europäischen Bürgergesellschaft geben. Durch Vernetzung, Austausch und öffentlichen Diskurs wollen wir demokratische Werte fester verwurzeln, Verantwortungsbewusstsein stärken und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.

Die Theodor Heuss Stiftung ist eine der ältesten Demokratiestiftungen Deutschlands. Wir sind überparteilich.

 

2.       Was wir machen

Wir greifen aktuelle und zukunftsweisende Themen auf, die für die Sicherung und weitere Entwicklung unserer Demokratie bedeutsam sind. Im Sinne von Theodor Heuss: „Demokratie lebt von den vielen Freiwilligkeiten der Bürger“ stärken wir engagierte Einzelpersonen, initiativen und Organisationen, die sich für die Demokratie einsetzen.

 

Wir analysieren die Beschaffenheit unserer Demokratie und identifizieren Zustände, die Anlass zur Sorge oder zur Diskussion geben. Wir begleiten gesellschaftliche Entwicklungen kritisch und weisen auf Gefährdungen für die Demokratie hin.

 

Wir zeichnen vorbildliche Initiativen und Persönlichkeiten aus, die sich um die Entwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens in besonderer Weise verdient gemacht haben. Die Jahresthemen und die ausgewählten Theodor Heuss Preis- und Medaillenträger:innen stehen dafür und dienen zugleich als demokratische Zeitansage.

 

Veranstaltungen der Theodor Heuss Stiftung waren wiederholt besondere Momente in der Geschichte der deutschen Demokratie. So öffnete Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Festansprache 1974 dem inhaftierten russischen Schriftsteller Alexander Solschenyzin den Weg in den Westen , indem er ihn einlud, dass er „bei uns in der Bundesrepublik frei leben und unbehindert arbeiten“ könne. 1979 versammelte die Stiftung erstmals die höchsten vier Verfassungsorgane zu einer Diskussion „über die Zukunft unserer Demokratie“. 1993 war die Verleihung an Vaclav Havel mit dem Staatsbesuch des tschechischen Präsidenten verknüpft. 2014 wurde der Verhüllungskünstler Christo erstmals für die demokratiepolitische Aussage seiner Werke geehrt.

 

Mit unseren Kolloquien, Preisverleihungen, Jahrbänden und über die Social-Media-Kanäle und die Presseberichterstattung erreichen wir jedes Jahr mehrere tausend Menschen.

 

3.   Wer wir sind

Die Theodor Heuss Stiftung wurde 1964 nach dem Tod des ersten Bundespräsidenten von Prof. Dr. Dr. Hildegard Hamm-Brücher, seinem Sohn Ernst Ludwig Heuss und einem überparteilichen Freundeskreis gegründet, zu dem Werner Heisenberg, Adolf Butenandt, Otto Hahn, Golo Mann, Carl Zuckmayer, Hans-Jochen Vogel und viele weitere Freundinnen und Freunde und Förderinnen und Förderer gehörten.

 

Dieser jahrzehntelangen Tradition der politischen Unabhängigkeit und Überparteilichkeit fühlen wir uns seit Beginn und auch in Zukunft verpflichtet.

 

Die Theodor Heuss Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts, die allein durch Spenden finanziert und auf diese angewiesen ist.

 

Helfen Sie mit, damit demokratiepolitisches Engagement weiter gestärkt werden kann!

 

„Demokratie ist keine Glücksversicherung, sondern das Ergebnis politischer Bildung und demokratischer Gesinnung“

(Theodor Heuss)

 

 

Prof. Dr. Ludwig Theodor Heuss, Vorsitzender des Vorstands Bundesjustizministerin a.D.  Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stv. Vorsitzende des Vorstands Prof. Dr. Rupprecht Podszun, stv. Vorsitzender des Vorstands Alexander Emmrich, Schatzmeister Bürgermeisterin Isabel Fezer Dr. Stefan Kaufmann, Oberbürgermeister a.D. Wolfgang Schuster, Isabel Fezer Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir MdB (2. von rechts) mit (v.l.) Ludwig T. Heuss, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gesine Schwan und Jan Hofmann Staatssekretär Florian Hassler, Ludwig T. Heuss

Vorstand

Die Mitglieder des Vorstands sind ehrenamtlich für die Stiftung tätig.

 

Mitglieder des Vorstands (Stand Januar 2022):

 

Prof. Dr. Ludwig Theodor Heuss, Vorsitzender
Bundesministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stv. Vorsitzende
Prof. Dr. Rupprecht Podszun, stv. Vorsitzender
Alexander Emmrich, Schatzmeister

 

Bürgermeisterin Isabel Fezer (berufen durch Oberbürgermeister Dr. Frank Nopper)
Staatssekretär Florian Hassler
(berufen durch Ministerpräsident Winfried Kretschmann)
Dr. Stefan Kaufmann MdB
Bundesminister Cem Özdemir MdB
Prof. Dr. Wolfgang Schuster

 

Prof. Dr. Gesine Schwan, Vorsitzende des Kuratoriums Dr. Reni Maltschew, Stv. Vorsitzende des Kuratoriums Bundesinnenminister a.D. Dr. h.c. Gerhart R. Baum Prof. Dr. Caroline Robertson-von Trotha (mit Ludwig Heuss, Jürgen Morlok, Klaus von Trotha) Prof. Dr. Valeska Huber Anetta Kahane Dr. Mathias von Bismarck-Osten Carola von Braun Dr. Jan Hofmann Jakob Springfeld Dr. Christopher Gohl Sebastian Krumbiegel (re., mit Andreas Dresen) Christel Grünenwald (mit Almut Berger) Roger de Weck Dr. Jana Steinke Staatssekretär Michael Theurer MdB (mit Dr. Stefan Kaufmann MdB) Sabine Krüger

Kuratorium

Die Mitglieder des Kuratoriums sind ehrenamtlich für die Stiftung tätig und werden vom Vorstand bestellt.

 

Kuratoriumsmitglieder (Stand Mai 2024):

 

Prof. Dr. Gesine Schwan, Vorsitzende
Dr. Reni Maltschew, stv. Vorsitzende

Dr. h.c. Gerhart R. Baum, Dr. Matthias von Bismarck-Osten, Carola von Braun, Prof. Dr. Claus Dierksmeier, Mirko Drotschmann, Dr. Pia Gerber, Dr. Christopher Gohl, Christel Grünenwald, David Heuss, Dr. Jan Hofmann, Prof. Dr. Karen Horn, Prof. Dr. Valeska Huber, Anetta Kahane, Rolf Kieser, Sabine Krüger, Sebastian Krumbiegel, Prof. Dr. Sandra Richter, Prof. Dr. Caroline Robertson-von Trotha, Ria Schröder, Dr. Marion Schulte zu Berge, Jakob Springfeld, Dr. Jana Steinke, Michael Theurer, Roger de Weck, Cornelius Winter

Ludwig Theodor Heuss

Über die Aufgabe der Theodor Heuss Stiftung

 

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

über das Zeitzeugenprojekt

Hildegard Hamm-Brücher

über Theodor Heuss

über die Stiftungsgründung

Über Bürgerbeteiligung

Über Demokratiepolitik

Richard von Weizsäcker

über Theodor Heuss


über Demokratiepolitik

Jutta Limbach

über Theodor Heuss

über die Theodor Heuss Stiftung

über Demokratiepolitik

Hans Jochen Vogel

über Theodor Heuss

über die Theodor Heuss Stiftung

über Demokratiepolitik

Gesine Schwan

über Theodor Heuss

über die Theodor Heuss Stiftung

Hermann Rudolph

über Theodor Heuss

über die Theodor Heuss Stiftung

über Demokratiepolitik

Theodor Heuss (1884 - 1963)

1884

31.1. Geburt in Brackenheim/Württemberg

1890

Umzug nach Heilbronn

1892

Eintritt in das Karlsgymnasium, Abitur 1902

1902

Studium der Nationalökonomie und Neuphilologie an der Universität München, erste Begegnung mit Friedrich Naumann

1905

Promotion bei Lujo Brentano in München mit einer Dissertation zum Thema „Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn a.N.“; Eintritt in die Redaktion von Friedrich Naumanns Zeitschrift „Die Hilfe“ in Berlin (bis 1912), erste Begegnung mit Elly Knapp

1907

Übernahme des politischen Ressorts der Zeitschrift „Die Hilfe“, erster erfolgreicher Reichstagswahlkampf für Friedrich Naumann in Heilbronn

1908

11.4. Hochzeit mit Elly Knapp (Trauung durch Albert Schweitzer)

1910 

5.8. Geburt des Sohnes Ernst Ludwig Heuss

1912   

Chefredaktion der „Neckar-Zeitung“ in Heilbronn (bis 1917), erfolglose Kandidatur für den württembergischen Landtag

1913 

Redakteur der Kulturzeitschrift „März“ (bis 1917)

1918 

Mitglied der Geschäftsführung des Deutschen Werkbundes in Berlin (hauptamtlich bis 1921), Schriftleiter der Zeitschrift „Deutsche Politik“ (bis 1922), Beginn der politischen Arbeit für die Deutsche Demokratische Partei (DDP)

1919  

Wahl zum Bezirksverordneten in Schöneberg/Berlin, gleichzeitig Mitarbeiter der „Vossischen Zeitung“ und der „Frankfurter Zeitung“

1920  

Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin (bis 1925)

1922 

Schriftleiter der Zeitschrift „Die Deutsche Nation“ (bis 1925)

1924 

Wahl in den Deutschen Reichstag als Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), Eintritt in den Vorstand des Deutschen Werkbundes

1925 

Wahl zum 1. Vorsitzenden des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller (Rücktritt 1926)

1928  

Verlust des Mandates bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag

1930  

Wiederwahl in den Deutschen Reichstag als Abgeordneter der Deutschen Staatspartei (Umbildung der DDP in die Deutsche Staatspartei (DStP))

1932 

Verlust des Mandates bei den Wahlen zum Deutschen Reichstag

1933 

Herausgeber der Zeitschrift „Die Hilfe“, Wahl in den Reichstag, Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, Verbrennung zweier Bücher von Theodor Heuss, Verlust seines Reichstagsmandates und seiner Dozentur an der Deutschen Hochschule für Politik, Rücktritt vom Vorstand des Deutschen Werkbundes

1936

Ausscheiden aus der Redaktion und Herausgeberschaft der Zeitschrift „Die Hilfe“

1937 bis 1942

Veröffentlichungen der Biographien über Friedrich Naumann, Hans Poelzig, Anton Dohrn, Justus von Liebig

1943  

Flucht aus Berlin und Übersiedlung nach Heidelberg im Oktober

1945 

Lizenzträger der „Rhein-Neckarzeitung“ in Heidelberg (bis Ende 1949), „Kultminister“ des Landes Württemberg-Baden, Umzug nach Stuttgart

1946  

6.1. Gründung der DVP für Württemberg-Baden in Stuttgart, Wahl in den Vorstand

18.3. Rede vor dem Kulturbund in Berlin zur demokratischen Erneuerung Deutschlands,

30.6. Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung des Landtags

28.9. Vorsitzender der DVP in der amerikanischen Zone,

24. 11. Wahl in den 1. Landtag von Württemberg-Baden, freiwilliger Verzicht auf das Ministeramt

1947   

Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss des württemberg-badischen Landtags zum „Ermächtigungsgesetz“, Wahl zum Vorsitzenden der Demokratischen Partei Deutschlands (zusammen mit Wilhelm Külz), Teilnahme am Kongress der Liberalen Weltunion in Oxford

1948  

Ernennung zum Honorarprofessor für politische Wissenschaften an der TH Stuttgart,

1.9. Abgeordneter des Parlamentarischen Rates in Bonn

12.12. Wahl zum Vorsitzenden der in Heppenheim gegründeten Freien Demokratischen Partei

1949 

23.5. Teilnahme an der Verkündigung des Grundgesetzes,

14.8. Wahl zum Abgeordneten des ersten Deutschen Bundestags in Bonn,

12.9. Wahl zum ersten Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung in Bonn

1952   

19.7. Tod von Elly Heuss-Knapp

1954

17.7. Wiederwahl zum Bundespräsidenten

8.11. erster offizieller Staatsbesuch eines ausländischen Staatsoberhaupts in der Bundesrepublik Deutschland durch den äthiopischen Kaiser Haile Selassie I.

1956  

Staatsbesuch in Griechenland

1957

Staatsbesuch in der Türkei

1958  

Staatsbesuche in den USA und Großbritannien

1959  

12.9. Ende der Amtszeit als Bundespräsident (die Anerkennung für sein Wirken war so groß, dass überlegt wurde, eine Änderung des Grundgesetzes herbeizuführen und damit eine 3. Amtszeit für ihn zu erwirken. Dies lehnte Theodor Heuss ab.), Umzug nach Stuttgart in den Feuerbacher Weg 46, Würdigung seiner Lebensleistung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

1960   

Reisen nach Frankreich, Israel und Indien

1963  

12.12. Theodor Heuss stirbt in seinem Haus in Stuttgart und wird am 17.12. mit einem Staatsbegräbnis auf dem Stuttgarter Waldfriedhof beigesetzt.

Theodor Heuss Preisverleihung 1965 Mit Marion Gräfin Döhnhoff 1966 Theodor Heuss Presiverleihung 1967 Mit Gustav Heinemann 1968 Theodor Heuss Preisverleihung 1969 Theodor Heuss Preisverleihung 1970 Mit Walter Scheel 1971 Mit Manfred Rommel, Helmut Schmidt, Alfred Grosser und Johannes Hanselmann 1978 Mit Carl-Friedrich und Richard von Weizsäcker 1989 Mit Roman Herzog und Ursula Heuss 1995 Mit Hans Küng 1998 Mit Vaclav Havel 1993 Mit Kenneth Roth 2005

Hildegard Hamm-Brücher (1921 - 2016)

Trauerrede von Bundesinnenminister a.D.
Gerhart R. Baum 

anlässlich der Trauerfeier
für Hildegard Hamm-Brücher
am 19.12.2016
in der Lukaskirche in München

(Es gilt das gesprochene Wort!)

 

Lange Jahre waren Hildegard Hamm-Brücher und ich durch Freundschaft und Politik verbunden. Über ihr politisches Lebenswerk will ich reden und darüber, was sie als Politikerin für unser Land und für viele Menschen bedeutet hat.

 

Was bedeutet es, wenn ein Taxifahrer am Münchner Bahnhof, eine junge Krankenschwester in Köln und viele andere in diesen Tagen Betroffenheit über den Tod von Hildegard Hamm-Brücher (HHB) zum Ausdruck bringen, sowie Respekt und Dankbarkeit für ihre politischen Lebensleistung. HHB ist vielen in unserem Lande ein Beispiel für politische Gradlinigkeit, für den Mut,  Überzeugungen auch treu zu bleiben, wenn es stürmt. „Sie war anders als die meisten Politiker“, sagte mir ein Student. In diesen Reaktionen auf ihren Tod drückt sich eine Sehnsucht nach Politikern aus, denen man heute vertrauen möchte – nach Politikern die die gefährdeten demokratischen Werte in unserem Land, in Europa und in der Welt glaubwürdig verteidigen. Die Menschen sahen in HHB eine moralische Instanz. Unser Land hat davon nicht viele. Sie verkörperte Haltung und Würde.

 

Für ihre Ziele hat HHB ein Leben lang gekämpft. Staunend vergegenwärtige man sich, welches Maß an Lebensenergie in dieser Frau gesteckt haben muss. Im Grunde hat sie mehrere Leben gelebt. 38 Jahre war sie Volksvertreterin, eine Zeit lang in Regierungsämtern. 7o Jahre lang war sie politisch aktiv. Aber nicht nur durch ihre Ämter hat sie politisch gestaltet. Der unmittelbare Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern war ihr wichtig – in unzähligen Begegnungen, in ihren Reden, in ihren zahlreichen Büchern, mit der Gründung von Stiftungen, mit der Unterstützung vieler Initiativen. Sie war unermüdlich. Bis in das hohe Alter hinein hat sie ihre noch vorhandene Kraft dazu genutzt, Menschen für eine „gelebte Bürgergesellschaft“ zu motivieren und zu ermutigen. Sie folgte der Mahnung von Theodor Heuss, dass das Grundgesetz keine „Glücksversicherung“ ist, sondern täglich neu verteidigt werden muss. Wir dürfen es uns nicht bequem machen, mahnte Heuss, und HHB hat es sich wahrlich nicht bequem gemacht. Auf politische Netzwerke hat sie sich kaum verlassen, sie hat zumeist selbstständig aus eigner Kraft gehandelt.

 

In ihrer Lebensbilanz von 2011 mit dem aussagekräftigen Titel „Und dennoch…Nachdenken über Zeitgeschichte – Erinnern für die Zukunft“ nennt sie zwei Ziele, die sie sich nach 1945 gestellt hatte: „Ich wollte dazu beitragen, daß Freiheit und Rechtsstaat  zum Kraftquell einer demokratischen Staats- und Lebensform werden.“  Und sie fühlte sich denjenigen verpflichtet, die gegen den Naziterror Widerstand geleistet hatten.Sie wollte deren Vermächtnis an die nachfolgenden Generationen weitergeben.

 

Sie hatte als junge Frau in Dresden miterlebt, wie ihre geliebte Großmutter und zwei weitere jüdische Verwandte Opfer der Nazis wurde. Sie hatte Kontakte – für sie sehr gefährliche Kontakte  – zu den Geschwistern Scholl und ihrer Gruppe. Ihr Professor, der die junge Studentin auch vor Verfolgung geschützt hatte, gab ihr den Rat, sich nicht zu gefährden, sondern die Überzeugungen der Widerstandskämpfer in eine neue Demokratie einzubringen.

 

HHB kämpfte in den Jahren nach dem Krieg gegen Geschichtsvergessenheit. Für sie waren die Männer des 20. Juli keine „Landesverräter“, für sie gab es auch keine „Siegerjustiz“. Sie fühlte sich 1945 nicht „besiegt“, sondern „befreit“, wie Richard von Weizsäcker dies in seiner großen Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 zum Ausdruck brachte. Und dieses Erinnern geschieht bis heute sehr intensiv, und es stärkt unsere Demokratie. Für sie gab es keine Trennung von Geschichte und Politik. Sie wollte, dass aus Irrtümern dauerhaft gelernt wird. Das war in der Nachkriegszeit ein langer und schwieriger Weg, auch in der FDP.

 

HHB hatte ihren ersten „Broterwerb“ als Journalistin für Politik bei der „Neuen Zeitung“ in München unter den Fittichen von Erich Kästner, aber ihre Lebensweiche wurde in eine andere Richtung gestellt – durch Theodor Heuss. Er riet ihr nach einem langen Gespräch, in die Politik zu gehen. Und das war ein guter Rat. Sie trat 1948 der FDP bei. „Verjüngt den Stadtrat, wählt HHB“ hieß es hier in München auf den Plakaten. Im Bayrischen Rundfunk versprach sie ihren Wählern, nicht für das Wohl und Wehe einer Partei, sondern für das Wohl der Menschen einzutreten.

 

Nach einem Jahr in Harvard, das ihr eine ganz neue Weltsicht eröffnete,  wurde sie in den Bayrischen Landtag gewählt. Sie war vielen unbequem, eine gefürchtete und angefeindete „Landtagsemanze“, wie ihre Gegner sie nannten. Sie krönte ihr Engagement in der Landespolitik mit einem erfolgreichen Volksbegehren zugunsten der christlichen Gemeinschaftsschule gegen das „konfessionelle Apartheidsystem“. 1962 setzte eine „Nazi-Clique“ in der FDP – so sagte sie –  sie auf den aussichtlosen Platz 17 der Bayrischen Landesliste. Der Wähler „häufelte“ sie –  nach einer bundesweiten  Solidaritätsaktion, an der auch meine Freunde und ich teilnahmen – nach vorn. Sie wurde gewählt und stand für eine sich erneuernde liberale Partei. Sie war im Übrigen immer eine Verfechterin der „offenen Zweitstimme“. Wir sollten darüber nachdenken, ob dieser bayrische Wahlmodus uns allen helfen könnte, die immer stärker werdende Distanz der Menschen zu den Parteien zu mindern.

 

HHB war zeitlebens eine durch und durch überzeugte Liberale. 54 Jahre gehörte sie der FDP an, danach bezeichnete sie sich als „freischaffende Liberale“. Das war sie in gewisser Hinsicht aber schon immer. Sie entzog sich oft einer falsch verstandenen Parteidisziplin, sie war keine Parteisoldatin. Sie berief sich auf die grundgesetzlich garantierte Gewissensfreiheit der Abgeordneten. Oft schwamm sie – wie sie selbst sagte  – „gegen den Strom“, aber sie wollte dabei „trotzdem hübsch aussehen“. Das erwiderte sie einem Journalisten, der sie gefragt hatte, ob sie die Bezeichnung „Grand Dame der FDP“ störe.

 

Sie gehörte zu den Reformliberalen des „Freiburger Programms“ von 1971, wie wir bei den Deutschen Jungdemokraten, der Jugendorganisation der FDP. Wir wollten die FDP verändern zu einer Partei mit sozialer Verantwortung, wir wollten das Grundgesetz mit Leben erfüllen. Wir wollten mit einer neuen Ost- und Deutschlandpolitik zu einer neuen Friedensordnung beitragen. Und wir wollten die Bürger-und Menschenrechte nach dem Prinzip der Menschenwürde verteidigen. Das alles wollten wir in einer neuen Koalition mit den Sozialdemokraten erreichen. Wir haben für diese Ziele auf  Parteitagen gekämpft, gemeinsam mit Walter Scheel, Ralf Dahrendorf, Werner Maihofer, Karl-Hermann Flach und H.D. Genscher- in enger Verbindung zu Sozialdemokraten wie Willi Brandt, Helmut Schmidt und Jochen Vogel, um nur einige zu nennen.

 

HHB’s Feld war vor allem die Bildungspolitik. Sie war eine der herausragenden Bildungspolitikerinnen unseres Landes. Ein aufrüttelndes  Buch des Pädagogen Georg Picht von 1964 „Die Bildungskatastrophe“  veranlasste sie gemeinsam mit Ralf Dahrendorf für ein „Bürgerrecht auf Bildung“ einzutreten. Bildungsgerechtigkeit für die benachteiligten Kinder einkommensschwacher Familien war das Ziel. Bildungspolitik sollte zu einer gesamtstaatlichen Aufgabe und Verantwortung werden. 1967 wurde der hessische Kultusminister Ernst Schütte auf sie aufmerksam und holte als Staatssekretärin in sein Ministerium. 1969 wechselte sie als Staatssekretärin in das Bundesbildungsministerium.

 

HHB war zeitlebens eine Kämpferin für die Gleichberechtigung. An ihrem Lebenslauf lässt sich ablesen, wie schwer dieser Kampf war. Am Anfang ihrer politischen Aktivitäten musste sie sich noch rechtfertigen, dass eine Frau überhaupt politisch tätig wurde. Sie hat sich unentwegt für Frauen in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt, u.a. auch bei den „Münchner Philharmonikern“. Sie war ein überzeugendes und ermutigendes Beispiel für viele Frauen. Nachdenklich stellt sie fest, dass ihr zeitweiliger Ruf, zu sehr Prinzipienreiterin und Gesinnungspolitikerin zu sein, ein typisches Männerverdikt gewesen sei. Auch ich meine, mit Männern wäre man  anders umgegangen.

 

Als Staatsministerin im Auswärtigen Amt ab 1976 hat sie  6 Jahre lang maßgeblich dazu beigetragen, dass die Auswärtige Kulturpolitik ein neues Deutschlandbild vermittelte.

 

Aber auch Niederlagen und Demütigungen hatte HHB in ihrem politischen Leben zu verkraften.

 

1982 war das Jahr der „Wende“, des umstrittenen Koalitionswechsels der FDP. HHB hat in einer denkwürdigen Rede vor dem Deutschen Bundestag begründet, warum sie dem Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Schmidt nicht zustimmen konnte. Beide haben wir geredet  – im Namen der 18 Kollegen der FDP-Fraktion, die diesen Weg nicht mitgehen wollten. Wir haben beide vor dem Vertrauensverlust gewarnt, den die politische Kultur nach einer vorher eindeutigen Wahlaussage erleiden würde. HHB sprach vom „Odium des verletzten politischen Anstands“. Beide verloren wir unsere Ämter und hatten es künftig in der FDP schwer. Wir zogen uns in die kleine weiße Villa gegenüber dem Bundeshaus zurück und bildeten unser eigenes kleines liberales Biotop, mit einigen wenigen Vertrauten, zu denen vor allem auch Burkhard Hirsch zählte. 1984 verhinderten wir gemeinsam mit ihm in der FDP die Parteispendenamnestie. Wir haben im Gegensatz zu einigen unserer politischen Freunde – überzeugt von der Notwendigkeit der Existenz einer liberalen Partei – die FDP nicht verlassen.

 

Noch einmal zog HHB als FDP-Politikerin öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. 1994 hatte die FDP sie für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen. Es ist jetzt müßig, die Gründe zu nennen, warum sie es nicht wurde. Sie hätte als Bundespräsidentin unserem Lande sicherlich gut getan. Dass sie es nicht wurde, hat sie geschmerzt, gerade weil sie dies wusste.

 

Im Jahre 2002 ist HHB nach einer Mitgliedschaft von 54 Jahren aus der FDP ausgetreten. Ich habe das bedauert, aber es aus ihrer Sicht auch verstanden. Die antisemitischen Agitationen eines stellvertretenden Vorsitzenden, von Teilen der Parteiführung viel zu lange geduldet, hatten sie tief verletzt.

 

Der Kontakt zu ihren Freunden in der FDP ist nie abgebrochen, auch nicht hier in Bayern. Sie hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sehr geschätzt. In den Gesprächen, die ich mit ihr führte, hat sie sich stets auch nach der „neuen“ FDP erkundigt, nach dem neuen jungen Vorsitzenden, Christian Lindner. Ihn wollte sie kennenlernen, und er hat sie besucht.

 

In den Jahren nach der Wende 1982 haben HHB und ich gemeinsam  Reisen in Sachen Menschenrechte unternommen – u.a. in die DDR, zu den Bürgerrechtlern und zu den Aufrechten in der Evangelischen Kirche. In ihren Erinnerungen schreibt sie: „Der vorletzte Kirchentag fand 1988 in Rostock statt, unter der Leitung des mutigen Stadtpfarrers Joachim Gauck, der Zuversicht und Verbundenheit vermittelte.“

 

HHB war auch Ehefrau, Mutter, Großmutter. Sie sagte von ihrem Mann Erwin Hamm, dem sie 52 Jahre verbunden war, dass er ihr unbeirrbar und mit einem wunderbaren Humor ausgestattet stets Schützenhilfe geleistet habe. Sonst hätte sie beide Aufgaben gar nicht miteinander vereinbaren können. Ihre Kinder, vor allem Tochter Verena, waren ihr bis zum Schluss liebevoller Beistand.

 

Mit HHB verbindet mich eine vertrauensvolle enge politische Freundschaft – über viele Jahrzehnte. Sie war mir stets eine ermutigende, bisweilen auch kritische  Ratgeberin. Ich bin HHB zutiefst dankbar. Bis zuletzt haben wir den Kontakt gehalten.

 

HHB hat uns Vermächtnisse hinterlassen. Zwei Beispiele möchte ich nennen:

 

Besonders wichtig ist die von ihr und Ernst Ludwig Heuss – dem Sohn von Theodor Heuss – gegründete Theodor-Heuss-Stiftung, mit der die Entwicklung unserer Demokratie kritisch begleitet und das demokratische Engagement der Bürger gefördert werden soll. Über vierzig Jahre war sie Vorsitzende. Jedes Jahr werden bis heute Menschen mit Preisen und Medaillen ausgezeichnet. Die ersten Preisträger waren „Aktion Sühnezeichen“ und der Pädagoge Georg Picht. Gewürdigt wurden immer wieder auch Initiativen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir werden diese Stiftungsaktivitäten ganz in ihrem Sinne fortführen.

 

Eine weitere wichtige Initiative ist das 1989 gesamtdeutsch gegründete Förderprogramm für Schulen und Schüler: „Demokratisch Handeln“.

 

In den Gesprächen der letzten Jahre zeigte HHB sie sich zunehmend beunruhigt über den Zustand unserer Demokratie. Zwar sah sie keine fundamentale Gefährdung unserer demokratischen Staatsordnung, aber sie beklagte besorgniserregende Entwicklungen. Jetzt sind die Krisen der Welt  bei uns angekommen – wir sind mittendrin. „Eine ungesteuerte ökonomisch und digital zusammenwachsenden Weltgesellschaft“ –  so beschreibt Jürgen Habermas die Lage. Viele Menschen reagieren mit Angst und Unsicherheit und entfernen sich von den Werten des Grundgesetzes. Sie haben Abstiegsängste und beklagen soziale Ungerechtigkeit.

 

HHB war überzeugt, dass wir nicht zuletzt aufgrund unserer Geschichte stark genug sind, uns wehren, zu wehren gegen Verdrossenheit gegenüber der Demokratie, gegen eine Demokratiemüdigkeit, gegen eine Verdrossenheit gegenüber den Parteien, die heute bis zur Politikerverachtung reicht und sich gegen die repräsentative Demokratie wendet. Wir müssen uns wehren gegen die Diskreditierung einer freien Presse und gegen die menschverachtenden Zusammenrottungen im internet. Wir sind auch stark genug, Angriffen auf die Menschenwürde durch neuen Rassismus, durch Fremdenfeindlichkeit und religiöse Intoleranz zu begegnen, wenn wir nur handeln wollen und auch zur Selbstkritik fähig sind. Wir sind nach dem Kriege mit den alten Nazis fertig geworden, warum sollte uns das nicht heute gegenüber ihren Nachfolgern gelingen.

 

HHB, eine große Liberale, eine beispielgebende Demokratin hat sich ihr Leben lang unermüdlich für das Gelingen unserer Demokratie eingesetzt. Setzen wir mit Entschlossenheit ihre Arbeit fort! Sie hat uns gezeigt, wie man das macht.

Mit großer Dankbarkeit nehmen wir heute Abschied von Hildegard Hamm-Brücher, von ihrer Herzlichkeit und von ihrer Überzeugungskraft – sie wird uns fehlen.

 

Theodor Heuss Foundation

The supra-partisan Theodor Heuss Foundation was initiated in 1964 after the death of the first Federal President by Hildegard Hamm-Brücher, his son, Ernst Ludwig Heuss, and a circle of friends of Theodor Heuss, with the aim of distinguishing examples for democratic engagement, civic courage and commitment for the strengthening and developing democracy in memory of his personality and his political life’s work. As Carl Friedrich v. Weizsäcker pointed out in 1965, the Theodor Heuss Prize was meant “to turn attention to something which, in our democracy, has to be done and to be developed without being already completed.“

 

Theodor Heuss was not only instrumental in creating the Basic Constitutional Law and not only did he shape the beginning of our democratic culture by the quality of his way of administrating his office. Throughout his whole life and work he has set an example of democratic-liberal attitude and civic responsibility. »Democracy and liberty are not only words, they are life-shaping values.«.

 

The Theodor Heuss Foundation wants to keep alive the memory of the personality and the life work of Theodor Heuss and to contribute to the development of democratic traditions and values in Germany and Europe.

 

The Foundation wants to point out time and again the manifold possibilities of making the right use of our liberties and of strengthening every single person’s responsibility. It promotes exemplary democratic behaviour, outstanding civic courage and model commitment for the public weal.

 

With the annual awarding of the Theodor Heuss Prize the Foundation has from the beginning endeavoured to create also public awareness about important political and social developments at an early stage by the honouring of civic initiative and civic courage. By this, issues and prize-holders chosen by it, have become a “democratic time signal”.