Preisträger 1966

Marion Gräfin Dönhoff

Demokratisches Verantwortungsgefühl und vorbildlicher politischer Stil

Bei Marion Gräfin Dönhoff haben wir unter der Lupe unserer Statuten gleich drei Begründungen für die Zuerkennung des Theodor-Heuss-Preises 1966 entdeckt: ihr Wirken und ihre Wirkung als politische Publizistin, ihr Wirken und ihre Wirkung als engagierte Intellektuelle und schließlich die bemerkenswerte Tatsache, daß all dies einer Frau gelang.

 

Mit der Rolle der politischen Publizistik im allgemeinen und mit der der politischen Publizistin im besonderen wird sich, wie ich annehme, unser hochverehrter Festredner, Professor Golo Mann, beschäftigen. Für mich wäre es nicht ohne Reiz, ein wenig ausführlicher über Marion Dönhoff als engagierte Intellektuelle zu meditieren, die da mitten im Spannungsfeld steht zwischen den politischen und den geistigen Kräften der Gegenwart, immer um Verständigung und Verständnis bemüht, immer tapfer, redlich und sehr klug.

 

Gerade weil sich die Kontaktarmut, ja die Kontaktunfähigkeit zwischen »Geist und Macht« und vice versa in diesem Lande teils tragisch-komisch, teils schockierend offenbart hat und weil unsere immer wieder in Tabus erstarrende Politik ebenso dringend des Engagements der Intellektuellen bedarf wie die Intellektuellen des politischen Wirklichkeitssinns – und weil es schließlich überhaupt so wenige Zeitgenossen vom Schlage einer Marion Dönhoff gibt, deshalb sind wir ganz einfach froh, daß es sie gibt! Von der Publizistin Marion Dönhoff hat Theodor Heuss einmal gesagt, daß er sie zu den »ganz zuverlässigen Demokraten« in unserem Lande rechne, und die brillante Feder seiner Berufskollegin hat er ohnehin sehr geschätzt.

Bamberger Jugendring

Gegen Rassenhass und Intoleranz

Als in diesem Sommer der jüdische Friedhof in Bamberg von einem damals noch unbekannten Täter wiederholt in übler Weise geschändet wurde und diese Nachricht Schlagzeilen in der Weltpresse machte und heftige Reaktionen auslöste, da entbrannten die üblichen theoretischen Erörterungen: Gibt es einen Antisemitismus in der Bundesrepublik? Wie stark ist er? Wer ist davon befallen? Und so weiter.

 

Währenddessen hatten sich junge Bamberger Bürger bereits darangemacht, den sichtbaren und den unsichtbaren Schaden wiedergutzumachen. Für fast fünftausend Mark hatten sie Teer, Erde, Splitt und sonstiges Material beschafft – und fünfzig bis achtzig Jugendliche arbeiteten an sechs Samstagen von morgens bis abends beim Wegebau, bei der Einfassung neuer Gräber, beim Streichen von Türen und Fensterrahmen und bei der Bepflanzung. So entstand ein wunderschön gepflegter Friedhof und er wird seither weitergepflegt.

 

Unser Bamberger Jugendring erntete freudige Zustimmung, wie nicht anders zu erwarten war; aber es gab auch anonymen Haß und Drohungen: »Sie sollten lieber ihre eigenen Gräber in Ordnung bringen«, riet beispielsweise ein unbekannter Anrufer und die anonymen Zuschriften sind entsprechend. Aber das sind nur kleine Schatten, die die jungen Bamberger nicht entmutigten. Theodor Heuss hätte sich über diesen völlig krampflosen Beweis des guten Willens und der selbstverständlichen Reaktion ganz einfach gefreut und dies um so mehr, als sich der Bamberger Jugendring auch schon bei vielen anderen Gelegenheiten aus mitbürgerlichem Verantwortungsgefühl nützlich gemacht hat. Es wurde ihm deshalb mit unserer herzlichen Anerkennung der diesjährige Hauptpreis für eine Gruppe zuerkannt.

Oberschulrat Wendelin Forstmeier

Eine ebenso landläufige Meinung ist es, daß Beamte hierzulande nicht gerade Musterbeispiele für Zivilcourage, eigene Initiative oder persönliches Risiko abgeben. In Oberschulrat Wilhelm Forstmeier haben wir doch ein Musterbeispiel für genau diese Bürgertugenden gefunden, und darüber freuen wir uns gleich zweimal. Einmal um des Grundsatzes und zum anderen um der Sache willen, die er durchgefochten hat. Die Sache heißt Landschulreform und zählte jahrelang zu den heißen Eisen bayerischer Kulturpolitik. Übrigens nicht nur in Bayern oder in der Bundesrepublik: Auch in finnischen Waldsiedlungen, in zentralasiatischen Baumwoll-Kolchosen oder schottischen Fischerdörfern hat die Bevölkerung ihr Herz für ihre kleine Schule immer in dem Augenblick entdeckt, in dem sie sie verlieren sollte. Aber in Bayern gehörte schon ein besonderer Schneid dazu, sich als Amtsperson für eine Flurbereinigung im dörflichen Schulwesen einzusetzen oder gar mit der Durchführung zu beginnen, als dies noch – mit den Worten Josef Filsers ausgedrückt – »den Verdacht erweckte, ein Liberaler, ein Freimaurer, Sozi oder Ungläubiger« zu sein.

 

Theodor Heuss hat seine Mitarbeiter gerne ermuntert, daß Widerspruch in ihrem Gehalt mit inbegriffen sei. Wilhelm Forstmeier hat dies in einer Sache praktiziert, von deren Wichtigkeit und Dringlichkeit er überzeugt war. So kam es, daß er der erste und jahrelang auch der einzige Schulrat in Bayern war, der die Zusammenlegung von Zwergschulen seinen Bauern buchstäblich abgelistet und, wie ich mir sagen ließ, auch gelegentlich »abgeschafkopft« hat. Heute zählt der Landkreis Aibling offiziell zum Musterkreis der Landschulreform (obgleich selbst dort nach Ansicht seines Schulrates endgültige Lösungen mit gut ausgebauten und ausgestatteten Schulen noch lange Jahre auf sich warten lassen werden).

 

Dafür, und weil er außerdem ein lebendiges Vorbild eines kollegialen Vorgesetzten, eines aufgeschlossenen Schulaufsichtsbeamten und eines fröhlichen Kinderfreundes ist, dafür soll er heute mit herzlicher Anerkennung mit einer Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet werden.

Ehrengard Schramm

Frau Ehrengard Schramm ist Landtagsabgeordnete in Niedersachsen; ihr Verantwortungsgefühl für das »bonum commune« aber macht nicht an den Landesgrenzen halt: Das, was sie seit Jahren für griechische Bürger getan hat und in der Zukunft zu tun vorhat, ist mehr als ein soziales Hilfswerk der Nächstenliebe, denn Armut, Not, Krankheit und Elend sind ja leider fast überall in der Welt zu finden.

 

Griechenland aber gehört auch zu jenen Ländern, die während des Krieges unter dem Terror der SS gelitten haben – ohne daß darüber bisher viel bekannt wurde. Frau Schramm leistet dort seit Jahren schon eine persönliche und private Form der Wiedergutmachung – fernab vom Rampenlicht des öffentlichen Interesses und Beifalls, vielmehr in der Stille und mit gut weiblicher Beharrlichkeit, genauso wie es auch der unvergessenen Lebensgefährtin von Theodor Heuss, Elly Heuss-Knapp, immer besonders am Herzen lag. Ihre Hilfeleistungen zeugen ebensosehr von politischer Vernunft und von großem Sachverstand als auch von bekennender Menschlichkeit.
Dafür wurde ihr eine Theodor-Heuss-Medaille zuerkannt.

Bund Deutscher Pfadfinder

Pfadfinder haben sich in der Vergangenheit – außer in Form allgemeiner jugendlich-romantischer oder völkischer Schwärmerei – nie sonderlich gerne mit Politik und schon gar nicht mit Problemen der Demokratie auseinandergesetzt.

 

Heute haben sie zwar politische Bildungsarbeit und demokratische Erziehung als eine wichtige Aufgabe erkannt; nach den ersten zaghaften Gehversuchen auf diesem noch unbekannten Übungsfeld mußten sie sich jedoch eingestehen, daß – und nun zitiere ich aus einer Veröffentlichung des Bundes: »die meisten Bemühungen der politischen Bildung und ganz besonders die staatlich subventionierten Berlinreisen Jugendlicher ohne die gewünschten Erfolge bleiben«; »Vorträge, Filmvorführungen und Besichtigungen lassen den Jugendlichen kalt, weil sie ihn nicht beteiligen«, heißt es dann weiter.

 

Aus der Einsicht heraus, daß man junge Menschen beteiligen müsse, um sie zu interessieren, entstand die Idee einer ganz neuen Form politischer Bildungsarbeit »mit pfadfinderischen Methoden«; und beim ersten Berlin-Seminar im Sommer vorigen Jahres gab es bei der Erarbeitung des Themas »Jugend und Kulturpolitik in Ost und West« keinen einzigen passiven Zuhörer oder unbeteiligten Zuschauer mehr. Jeder einzelne der 470 Teilnehmer beteiligte sich an einem der sechs möglichen »Projekte« mit folgenden Recherchen: Erziehung außerhalb der Schule und Freizeitgestaltung in Ost und West – Bildung in Ost und West – Kunst in Ost und West – Publizistik in Ost und West das Verhältnis von Kirche und Staat in Ost und West Kulturzentrum und Touristenziel Berlin.

 

Vier Tage lang »erkundeten« die Pfadfinder in kleinen Arbeitsgruppen systematisch die selbst gestellten Fragen, indem sie durch persönliche Besichtigungen, Beobachtungen, Besuche und Interviews in West- und Ost-Berlin Material zusammentrugen.

 

In einer großen Podiumsdiskussion wurde schließlich Bericht erstattet und über die Ergebnisse der einzelnen Gruppen diskutiert. Die Fülle des eigenhändig oft unter großen Mühen zusammengetragenen Materials steht nun auf sechshundert Seiten Protokoll zur Auswertung und weiteren Verwendung zur Verfügung. Aufgrund dieses Materials hatten wir keinen Zweifel, daß die Teilnehmer dieser Seminare wesentlich lebendiger, einprägsamer und unvergeßlicher mit den Problemen der geteilten Stadt konfrontiert wurden, als es im sonst allgemein üblichen Verfahren möglich ist.

 

Und weil die Pfadfinder trotz vieler Widerstände den Mut hatten, einmal einen neuen Weg politischer Bildungsarbeit zu erproben, und weil sie damit bewiesen, wie ernst es ihnen ist mit ihrer demokratischen Verantwortung – deshalb wurde ihnen eine Theodor-Heuss-Münze zuerkannt.

Über den Mut, den ersten Schritt zu tun

1966