Porträt Refugee Law Clinics Deutschland e.V.

Theodor Heuss Preis 2019

Porträt Medaillenträger

Refugee Law Clinics Deutschland e.V.

 

 

Modellhafter Gewinn auf beiden Seiten

Geben und Nehmen: Das ist eine sehr alte Formel für ein menschlich gedeihliches Miteinander. Ohne dieses Attribut ist kaum eine Gesellschaftsordnung vorstellbar, die sich dem Prinzip der Gegenseitigkeit verpflichtet fühlt. Denn nur mit diesem Bewusstsein lassen sich Rechtlichkeit und Moral, Solidarität und Menschenwürde verwirklichen und leben.

Wie eine solche Qualität im Alltag konkret praktiziert werden kann, lässt sich trefflich an der Arbeit der Initiative Refugee Law Clinics (RLC) ablesen. Ihren Titel haben die Aktivisten dieser zivilgesellschaftlichen Organisation amerikanischen Vorbildern entlehnt. In den USA bildeten sich während den Hochzeiten der Bürgerrechtsbewegung in den Sechzigerjahren unter dem Begriff „Law Clinics“ Gruppierungen von Jura-Studenten, die den schwarzen Protagonisten im Kampf gegen Rassentrennung und für Gleichberechtigung mit Rechtsberatung zur Seite stehen wollten. „Aktives Lernen“ hieß das Motto. Denn mit ihrem persönlichen Engagement wollten die künftigen Richter und Anwälte zugleich Erfahrungen für die Praxis sammeln.

Dieses Modell fand in den Nullerjahren in Deutschland Nachahmer. So gründete sich 2007/2008 an der juristischen Fakultät der Universität Gießen eine erste studentische Law Clinic, noch angebunden an den Lehrstuhl für Öffentliches Recht. Als Betätigungsfeld wählte sie das Migrations- und Asylrecht. Der Funke aus Hessen sprang später auf andere Hochschulstandorte über. Es bildeten sich Vereine von Jura-Studentinnen und Jura-Studenten unter der Bezeichnung Refugee Law Clinic in Köln, Heidelberg, München, Berlin, Leipzig und Hamburg. Sie waren längst nicht mehr an den jeweiligen Fakultäten ihrer Universität angesiedelt, sondern entwickelten einen eigenen Status. Zuweilen aber operieren sie noch auf dem Campus, weil ihnen dort kostenlos Räume zur Verfügung gestellt werden.

Das Jahr 2015, als Hunderttausende Flüchtlinge aus den nahöstlichen Kriegsschauplätzen und den afrikanischen Krisengebieten nach Deutschland gelangten, ließ den Bedarf an Rechtsberatung für diese Ankömmlinge sprunghaft steigen – und damit zugleich weiterer studentischer Refugee Law Clinics. Inzwischen bestehen 57 Gruppen in 30 deutschen Städten, zuweilen sogar mehrere an einem Ort wie in Berlin, München oder Hamburg. Auch formierte sich 2016 ein Dachverband in der Bundeshauptstadt, der sich über Spenden finanziert. Er sieht seine Aufgabe vor allem darin, die Arbeit der örtlichen Vereine zu professionalisieren, zugleich eine intensive Vernetzung innerhalb Deutschlands und Europas zu betreiben.

„Es ist eine echte Win-Win-Situation“, beschreibt Vorstandmitglied Christoph König seine jahrelange Tätigkeit in der Berliner Zentrale der RLC. Er habe den Flüchtlingen jene Hinweise und Empfehlungen geben können, die sie bei ihrem komplizierten und langwierigen Weg durch die deutsche Bürokratie brauchten, meist durch Beistand und Begleitung. Auf Chancen und Risiken können sie aber nur bedingt einwirken. „Je früher wir ansetzen, desto höher sind die Erfolgsaussichten“, erläutert König, der augenblicklich seine Dissertation in Rechtsgeschichte an der Humboldt-Universität schreibt. Zugleich habe er jedoch selber davon profitiert, weil er die Anwendung des Rechts in der Praxis erleben konnte – eine Übung, die ihm die sonst meist abstrakt ausgerichtete Ausbildung an der Hochschule kaum vermittelt habe. „Ich weiß nicht, ob ich mein Jura-Studium durchgehalten hätte, ohne die Erfahrungen mit der Beratung von Flüchtlingen,“ resümiert König seine Geben-Nehmen-Erkenntnis.

Vor solchen beglückenden Erlebnissen hat der RLC-Verband allerdings eine lange Vorbereitungszeit gelegt. Denn die Interessenten für die Flüchtlingsberatung müssen zunächst eine einjährige Schulung absolvieren. Dazu gehören Vorträge, Kurse und Seminare, zudem die Teilnahme an einer  Supervision, um auf die psychosozialen Belastungen der anstrengenden Aufgabe vorzubereiten und sie abzufedern. Diese stützenden Maßnahmen werden fortgesetzt, wenn die praktische Hilfeleistung bereits ausgeübt wird. Die Beratungen finden zumeist in offenen Sprechstunden statt, aber die RLC-Aktiven treffen auch Verabredungen mit Flüchtlingen oder suchen sie in ihren Unterkünften auf – keineswegs immer zur Freude der zuständigen Behörde, der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Da kann es zuweilen passieren, dass ihnen der Zugang verwehrt wird.

„Wir hören die Fluchtgeschichten an, überlegen, wie der Fall zu lösen ist, beraten, begleiten auch einige zur Anhörung vor den Behörden“, schildert die Jura-Studentin Pauline Lehmann ihr Metier. „Als gelungen empfinde ich die Beratung, wenn wir Klarheit darüber schaffen konnten, was als   nächstes zu unternehmen ist. Es gibt aber auch Fälle, da können wir nicht weiterhelfen. Das ist dann schwer auszuhalten.“ Und die junge Helferin reflektiert weiter: „Am Anfang war ich etwas angespannt, weil man soviel Verantwortung trägt. Ich will keine falschen Hoffnungen wecken, und auch keine falschen Informationen geben.“ Nein, dies sei „kein Kaffeeklatsch“, fügt sie hinzu, deshalb schwinge immer auch eine „große Ernsthaftigkeit“ bei den Begegnungen mit.

Ganz mutige RLC-Aktivisten suchen die Erfahrung sogar in extremen Situationen: Sie melden sich zu einem vierwöchigen Praktikum in überquellenden Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln. So ging Christoph König nach Samos, Pauline Lehmann besuchte Lesbos. „Man liest das und sieht Bilder, aber man kann es sich nicht vorstellen. Wenn man einen Monat lang jeden Tag dort ist, lernt man Leute kennen,“ schildert die Studentin ihre Eindrücke. „Jeder braucht ein Dach über dem Kopf und Essen, das leuchtet sofort ein. Aber zu einer menschlichen Behandlung gehört Rechtsberatung: dass man die Leute über ihre Rechte informiert, sie auf dem Laufenden hält und nicht in irgendeinem Camp schmoren lässt. Diese Unsicherheit muss schwer zu ertragen sein.“

Für Mitstreiter König zählt außer den individuellen Erfahrungen auch eine nachhaltige Wirkung seines Verbandes: „Wir sickern immer tiefer in die Gesellschaft ein“, umreißt er seine Ansicht. „Zunächst natürlich in den Universitäten. Später dann in Ministerien und Verwaltungen, Gerichten und Anwaltskanzleien. Denn unser Netz, das wir knüpfen, trägt weiter. Das zeigt sich jetzt bereits. Denn viele junge Anwälte für Asylrecht sind schon bei uns sozialisiert worden.“

Deshalb ist die Hoffnung nicht abwegig, dass durch dieses Beispiel beidseitigen Gewinns bei Refugee Law Clinics unsere Gesellschaft ein kleines Stück humaner wird.

 

 

Text: Hans-Peter Föhrding / Heinz Verfürth