Porträt Operation Libero

Theodor Heuss Preis 2019

Porträt Medaillenträger

Operation Libero

 

Der Rechtsdrall bekommt Gegenschub

 

Wer sich im Fußball auskennt – und das sind Millionen Menschen – weiß von der Bedeutung des Libero bei diesem Mannschaftsspiel. Es ist eine defensive Position, denn der Libero soll das Feld nach hinten absichern. Da er aber keinen direkten Gegenspieler in der gegnerischen Mannschaft hat, ist es ihm auch möglich, offensiv nach vorn einzugreifen. In der englischen Sprache wird dieser freie Spieler sweeper genannt, also Ausputzer, und das beschreibt trefflich seine Funktion. Auch wenn heute der Einsatz von Liberos etwas veraltet erscheint, es gab Zeiten, in denen sie ihre Rolle so perfektionierten, dass sie bei Meisterschaften zu Siegertypen avancierten. Denn sie erwiesen sich als wichtigste Akteure auf dem Platz.

 

So ist es kaum ein Zufall, dass sich eine zivilgesellschaftliche Bürgerbewegung in der Schweiz den Namen „Operation Libero“ zugelegt hat. Denn deren unabhängige Aktivisten wollen die politische Landschaft in der Eidgenossenschaft aufmischen. Und dies ist ihnen in den letzten Jahren zuweilen in spektakulärer Weise gelungen. Denn die Liberos und Liberas, wie sich die Mitglieder

keck bezeichnen, sind zu beachtlichen Mitspielern im politischen Wettbewerb des Landes aufgestiegen. Zu spüren bekam dies vor allem die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP). Viele Jahre unter der Patronage des nationalkonservativen Unternehmers Christoph Blocher, musste die lange erfolgsverwöhnte Partei einige empfindlichen Niederlagen hinnehmen, eben durch viele Gegenkampagnen der „Operation Libero“.

Die rührige Organisation konstituierte sich allerdings unter dem Eindruck eines Schockerlebnisses. Am 9. Februar 2014 hatte die Volksinitiative Gegen Masseneinwanderung mit einer knappen Mehrheit von 50,3 Prozent obsiegt. Dadurch soll die Immigration von Ausländern

in der Schweiz jährlich durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzt werden. Dieser fremdenfeindliche Akt war von der rechtslastigen SVP auf den Weg gebracht worden – wenn auch nur mit knappem Erfolg. Doch aufgrund dieses Resultates formierte sich alsbald in Bern eine Gruppierung junger Leute, unter ihnen viele Akademiker, die diese rechtsgewirkten Tendenzen nicht mehr ungerührt hinnehmen wollte.

„Es steht zu viel auf dem Spiel, um weiter zuzusehen. Es ist an der Zeit, und es ist an uns, dafür einzustehen, wofür sich heute kaum jemand mehr einsetzt“, heißt es in einem Selbstporträt von „Operation Libero“ über die Motivation zur Gründung einer neuen politischen Riege. Frischluft für die liberale Sache, Impulse setzen und Druck ausüben, sowie langfristig den Diskurs beeinflussen: So lauteten die ambitionierten Zielvorstellungen. „Wir setzen uns dafür ein, dass das liberale Gedankengut, welches die Schweiz groß gemacht hat, nicht verlorengeht, sondern unsere Zukunft prägen wird“, war der Tenor des Anfangs. Der kritische Blick galt nicht nur einzelnen Entscheidungen, sondern dem generellen Panorama politischer Prozesse in der Alpenrepublik. Der Blockadehaltung der etablierten Parteien in Bern wollten die Liberos und Liberas eine „Schweiz als Chancenland“ entgegensetzen.

Inzwischen verfügt die Organisation über rund 1.400 Mitglieder. Neben dem Bundesverband bestehen vier regionale Sektionen in Bern, Genf, Zürich und Basel; weitere Teams in der Ostschweiz sind im Aufbau. Zwar arbeiten diese Gruppen der Spitze zu, unterstützen auch nationale Kampagnen. Doch sie entwickeln ansonsten ein Eigenleben. „Für uns wichtiger als die Mitglieder ist die Zahl derjenigen, die sich bereit erklärt haben, sich bei uns zu engagieren“, sagt Laura Zimmermann, Co-Präsidentin neben Flavia Kleiner, die bereits das Gründungskomitee führte. Für die 26jährige Studentin, häufig als das „Gesicht“ der Bürgerbewegung bezeichnet, gehören auch die 5.000 „Aktiven“ dazu; zudem bilden sich kleine Teams, die sich speziellen Themen widmen. Sprecherin Zimmermann erwähnt auch die Follower in den Sozialen Netzwerken, die mehrere Zehntausende ausmachen. All dies summiert sich zu einer breit gefächerten zivilgesellschaftlichen Formation, die inzwischen eine solide Mobilisierungskraft entwickeln kann.

 

Bei drei Volksabstimmungen, die die schweizerische Liberalität im Sinne eines Rechtstrends umpolen sollten, hat sich die Einsatzfähigkeit von „Operation Libero“ beispielhaft gezeigt. Im Februar 2016 ging es um die schnellere und erweiterte „Ausschaffung krimineller Ausländer“, also die beschleunigte Abschiebung von Migranten, die Gesetze und Vorschriften übertreten hatten. Das Vorhaben wurde mit 58,9 Prozent abgelehnt. Zwei Jahre später, im März 2018, sollten die Radio- und Fernsehgebühren gestrichen werden. Es wäre für die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG-SSR) ein harter Schlag gewesen, hätte doch der Verlust der Gelder eine  Einschränkung der unabhängigen Programmgestaltung bedeutet. Und damit wäre ein Stück eidgenössischer Medienvielfalt und Medienfreiheit gestutzt worden. Doch der Plan scheiterte mit 71,6 Prozent Nein-Stimmen. Schließlich misslang im November 2018 die Vorlage, nach der Schweizer Recht über internationales Recht gestellt werden sollte. Unter dem harmlos klingenden Kurztitel Selbstbestimmungsinitiative offeriert, wäre bei Zustimmung die Verlässlichkeit der Schweiz bei internationalen Verträgen und Institutionen wie der UN infrage gestellt worden. Das Nein fiel mit 66,2 Prozent deutlich aus. Auf diese Weise erfuhr gerade der Tatendrang der nationalkonservativen SVP einen Dämpfer.

 

Natürlich war die „Operation Libero“ nicht der alleinige Opponent, da reihten sich viele Parteien und Gruppierungen ein. Aber die Vorgänge belegen, wie auch die Schweizer Demokratie durch den Rechtspopulismus stark unter Druck gerät – ein Phänomen, das in immer mehr europäischen Staaten grassiert. Und verdeutlicht andererseits, welchen Stellenwert den Aktivitäten der „Operation“ beizumessen ist. „Dass wir öfter gegen die SVP angetreten sind, hat vor allem damit zu tun, dass die größten Angriffe auf unseren freiheitlichen Rechtsstaat von dieser Seite kamen“, erläutert Repräsentantin Zimmermann. Denn sie würde lieber von einem Reaktions- auf den Aktionsmodus umschalten.

 

Da hat sich „Operation Libero“, die mit der aufreizenden Farbe Pink wirbt, programmatisch einiges vorgenommen: Ehrliche Europapolitik, gezielte Umverteilung, freie Lebensentwürfe, offener Arbeitsmarkt, Bürgerrecht für ein Einwanderungsland, nachhaltiger Verkehr, um nur die wichtigsten Intentionen zu nennen. Damit setzen sich ihre Streiter in der eher biederen Eidgenossenschaft mannigfacher Kritik aus. „Operation Liberallalla“ nannte die Neue Zürcher Zeitung die „jugendlich-hippe“ Bewegung. Hinter deren liberaler Fassade verberge sich „viel zeitgeistig verpackter Sozialdemokratismus“. Was von dieser Operation noch zu erwarten sei, fragte das Blatt suggestiv seine Leser.

 

Co-Präsidentin Zimmermann ist da um eine Antwort nicht verlegen. „Operation Libero“ wolle sich in die eidgenössischen Wahlen im Oktober 2019 einmischen, durch Empfehlungen für Kandidaten, die für eine offene und freiheitliche Schweiz einträten. „Die Parlamentswahl 2019 ist ein Richtungsentscheid. Es ist eine Abstimmung über die Zukunft unseres Landes, ein Referendum über Fortschritt oder Stillstand.“ Und hoffnungsvoll: „Wenn wir die Zukunft gestalten, liegt das Beste noch vor uns.“ Über den besten Weg dorthin werde noch nachgedacht. „Nur so viel“, verrät sie eigenwillig, „Operation Libero war schon immer gut für ein wenig irre Ideen.“

 

Text: Hans-Peter Föhrding / Heinz Verfürth