Preisträger 1980

terre des hommes Deutschland e.V.

Anwalt des Kindes und als Lobby zur Durchsetzung von Kindesrechten

„Terre des Hommes“, dieser Name soll ein Omen sein. Es signalisiert Aufforderung zum Engagement, zur Verantwortung, zum Mitleiden und zur praktischen Hilfsbereitschaft ohne Bürokratie, ohne Spesen und Funktionäre, ohne Anonymität. Politisch, religiös und von staatlichen Stellen unabhängig, versteht sich Terre des Hommes und jedes seiner Mitglieder als „Anwalt des Kindes und als Lobby zur Durchsetzung von Kindesrechten“, vor allem in den Ländern der Dritten Welt, zunehmend aber auch im eigenen Land.

 

Mit dieser Auswahl wollte die Stiftung auch deutlich machen, daß das im ganzen mißglückte Jahr des Kindes nicht zu Ende sein kann. Dabei praktiziert Terre des Hommes neue Formen des persönlichen Engagements und der Selbstverantwortung, und gerade das ist es , was den Mitgliedern Freude macht, in einer weitgehend unabhängigen Gruppe tätig zu sein, selbst organisieren und improvisieren zu können, in direktem menschlichen Kontakt zu den Schützlingen zu stehen. Viele arbeiten mit „weil“, wie die „Neue Züricher Zeitung“ einmal schrieb, „die absolute Bescheidenheit der Bewegung ihnen zusagt, weil den von humanitären Idealen geleiteten Menschen an der Spitze persönlicher Ehrgeiz fehlt, weil grundsätzlich mit geringsten Spesen ein Maximum an Leistung erbracht wird“.

 

Welches sind die wichtigsten Tätigkeitsfelder der 150 Arbeitsgruppen der deutschen Sektion von Terre des Hommes? In der Dritten Welt konzentrieren sie sich auf drei Schwerpunkte:

– Auf Hilfe für Waisenhäuser zur Verbesserung der Ernährungsgrundlage, Betreuung, Bekleidung und Ausbil-dung (hier sucht die Organisation Pa-tenschaften) der Kinder,

– auf Hilfe für ländliche Gebiete zur Verbesserung der Sozialstruktur. Sie fördert z. B. Kindergärten und Kinderkrankenhäuser und unterstützt vorbeugende Maßnahmen gegen Abwanderung in großstädtische Slums,

– auf Einrichtungen für behinderte Kinder, zum Beispiel auch zur Förderung ihrer handwerklichen Ausbildung in Lehrwerkstätten.

 

Für diese Schwerpunkte sucht Terre des Hommes immer wieder nach neuen Wegen für eine wirksame Hilfe. In den Entwicklungsländern selbst ist dies oft mit kaum überwindbaren Schwierigkeiten verbunden, weil es an allem fehlt: Trotzdem wächst die Zahl der Projekte vor allem in Asien, Lateinamerika und in den meisten Ländern Afrikas, und aus der eigenen Erfahrung meines Amtes möchte ich hinzufügen: Terre des Hommes praktiziert (ähnlich wie die Kirchen) eine Form der humanitären entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, an der es am meisten fehlt – und die im Drange nach einseitigem wirtschaftlichen Wachstum viel zu wenig beachtet wird.

 

In der Bundesrepublik unterhält Terre des Hommes mittlerweile zahlreiche Einrichtungen zur Heilung von Kindern aus kriegszerstörten Ländern, für benachteiligte deutsche und ausländische Kinder, für Behinderte. Mensch sein, das heißt Verantwortung fühlen für die Erde der Menschen. Die Gruppen und Mitglieder von Terre des Hommes geben dafür Beispiele, die nach unserer Ansicht Ermutigung, Dank und Nachahmung verdienen.

Professor Horst Eberhard Richter

Verantwortung für den Nächsten

Horst Eberhard Richter hat wie kaum ein anderer unser Dilemma nicht nur erkannt und beschrieben, er gibt auch – und das ist das Entscheidende  – ein persönliches Beispiel, wie man dieses Dilemma aushalten – wie man es vielleicht sogar fruchtbar machen kann. Er setzt sich und uns ein (Lern)ziel, mit dem wir es einmal (und immer wieder) versuchen können. Seine Analysen und Formulierungen bestechen, sein schöpferisches Denken ist anregend, aber sein persönliches Handeln ist ansteckend. Sein eigenes couragiertes demokratisches Engagement ermutigt andere zum coura-gierten demokratischen Engagement, und das zusammen ist ein Beispiel „gelebter Verantwortung für den Nächsten“. Darin liegt sein anspornender Beitrag für das Allgemeinwohl, so wie es unsere Satzungvorschriebt, und das ist es, was wir mit dem THEODOR-HEUSS-PREIS auszeichnen wollen.

 

Horst Eberhard Richter hat uns durch seine Bücher die Gefährdungen nicht nur beschrieben und bewußtgemacht hat, sondern weil durch sein persönliches Handeln immer wieder bewiesen, dass er bereit ist, die geforderte persönliche Verantwortung auch für sich seIbst zu übernehmen.

Die vier Nachbarschaftshilfen Unterschleißheim-Oberschleißheim / Garching / Hochbrück / Sozialdienst Unterpfaffenhofen-Germering

Die Anfange unseres Vereins waren wenig spektakulär: Im Frühjahr 1971 saßen einige junge Ehepaare am Stammtisch beisammen, die zwar zueinander Kontakt gefunden hatten, sonst aber als Neubürger in der rasch wachsenden Gemeinde keinerlei Verbindungen hatten aufnehmen können.

 

Aus der gemeinsamen Sorge, etwa kurzfristig nicht einmal ein Kleinkind in Obhut geben zu können, um Arztbesuche, Behördengänge oder Einkäufe in der Stadt zu erledigen, erwuchs der spontane Entschluß, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und einander auszuhelfen. Man gründete einen ,Arbeitskreis Nachbarschaftshilfe‘, der umgehend die Unterstützung der G-meinde fand und im Freizeitheim einen Kinderpark eröffnete. Die Gründungsversammlung fand am 28. Oktober 1971 statt. Heute haben wir fast 300 Mitglieder.

 

Wenn Sie uns fragen, wie wir unsere Arbeit selbst beurteilen, so möchten wir folgende vier Gesichtspunkte hervorheben: Als erstes stellt unsere Tätigkeit eine rasche und ohne umständliche Formalitäten von Bürger zu Bürger gewährte Hilfe in Notlagen verschiedenster Art dar. Dieses von Anfang an verfolgte Ziel hat sich nicht geändert. Wir leisten Integrationsarbeit für zahlreiche Neubürger in der weiterhin stark wachsenden Gemeinde, aber auch für Alteingesessene, die auf-grund Alters oder Krankheit ihre Kon-takte zur Umwelt verloren haben. Unsere Organisation ist ein Bindeglied, über das oft Bekanntschaften und manchmal Freundschaften geschlossen werden. Mehr noch als für die Betreuten gilt das für die Helfer, die, sofern sie Neubürger sind, hier ein erstes Betätigungsfeld fin-den mit der Möglichkeit, zahlreiche neue Kontakte anzubahnen. Es ist für uns keine Frage der Ideologie, sondern unsere während jahrelanger Arbeit gesammelten Erfahrungen, daß sich der immer weiter um sich greifende Professionalismus im Sozialbereich totzulaufen beginnt.

 

Isolation und die Folgen von Vereinsamung lassen sich nicht überwinden, wenn in jeder Not-und Ausnahmesituation Hilfe und Trost nur noch durch einen immer spezieller und für einen stets enger werdenden Sektor ausgebildete Experten möglich sind. Menschen in Not und Einsamkeit verlangen aber gerade nach Begegnungen, bei denen sie dem Partner von gleich zu gleich gegenübertreten können und sich nicht der Zweifel regt, vom anderen am Ende nur als beruflicher Problemfall betrachtet zu werden …

 

Eine ebenfalls nur nebenbei gewonnene, für uns jedoch sehr erfreuliche Erkenntni s besteht darin, daß in unserem Kreis viele Bürgerinnen und Bürger, insbesondere Hausfrauen, Fähigkeiten offenbaren, die ihnen selbst gar nicht bewußt gewesen waren. Aus dem Berufsleben ausgeschieden, vom öffentlichen Leben abgeschirmt, entdecken sie plötzlich, daß sie auf ihnen zunächst fremden Gebieten wertvolle Dienste zu leisten und mit der Zeit immer verantwortungs-und anspruchsvollere Aufgaben zu übernehmen vermögen. Hand in Hand damit geht ein Anwachsen des Interesses an sozialen und komrnunalpolitischen Fragen, das in überraschend vielen Fällen sogar zu einem öffentlichen Engagement bei Wahlen auf Kreis- und Gemeindeebene geführt hat.

 

Im Tätigkeitsbericht einer anderen Nachbarschaftshilfe heißt es: „Mit den nächstliegenden Aufgaben, wie Kinderbetreuung und Familienhilfe, fingen wir an, und ständig wurde das Angebot der Hilfsmöglichkeiten erweitert. Im J ahr 1975 war es dann endlich soweit, daß wir einen umgebauten Hausflur als Wohnung anmieten konnten und damit eine Begegnungsstätte für jung und alt anbieten konnten, was bisher in dieser Form der Kontaktaufnahmemöglichkeiten fehlte. Dank der Zuschüsse der Gemeinde und des Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung ist es uns heute möglich, 20 die vielfältigen Aufgaben zu meistern. Wir haben einen Haushalt von ca. DM 30.000,-, wovon maximal DM 14.000,-durch Zuschüsse erbracht werden. Unsere Nachbarschaftshilfe leistet im Jahresdurchschnitt ca. 6200 Stunden.

 

Was man nicht in Stunden aufwiegen kann, ist das Bewußtsein in der Bevölkerung, daß jemand da ist, der bereit ist, unbürokratisch schnell und oft auch rund um die Uhr zu helfen … “ Es gibt also eigentlich nichts, was es an Problemen in einem Gemeinwesen gibt, was die Mitarbeiter(innen) und Helfer-(innen) in den Nachbarschaftshilfen nicht tun, wenn Not am Mann oder Not an der Frau ist. Deshalb ist es gut zu. wissen, daß es sie gibt und daß sie dazu beitragen, Wärme und Bindungen, Hilfe und Gemeinsinn in ihren Gemeinden zu verbreiten und zu stärken. Dafür wurde ihnen eine THEODOR-HEUSS-MEDAILLE zuerkannt

Deutsch-Türkischer Kindertreff

Der Deutsch-Türkischen Kindertreff ist ein Projekt der Deutschen Sportjugend, der Sportjugend Berlins und der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Berlin-Kreuzberg.

 

Zu seinen Mitarbeitern gehören Sportstudenten, Studenten der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Sozialarbeiter und Erzieher sowie zwei Hochschullehrer, die seit 1976 nicht nur theoretisch, sondern auch sozialpädagogisch mitarbeiten. Ziel des Kindertreffs ist es, daß sich deutsche und türkische Kinder besser kennenlernen, daß sie miteinander Sport treiben, spielen, basteln, daß sie dabei gegenseitige Vorurteile abbauen und Verständnis füreinander entwickeln.

 

Beispiele aus der Arbeit des Kindertreffs: Gemeinsames Arbeiten und Basteln in der Gruppe, Laubsägearbeiten, Schmuckbasteln, Töpfern mit Ton, Weben, Batiken, KartofTeldruck, Kochen, Reparaturarbeiten, Filme anschauen, Kinderfeste, Theaterbesuche mit 6-bis 9jährigen Kindern mit anschließender Diskussion. Aber auch Probleme der Sprachförderung stellen sich den jungen Helfern. Hierfür wurden zunächst Wortspiele, Gegenstände raten, Geschichte erzählen angeboten. Später entstand ein Deutschkurs, der zur Hausaufgabenhilfe weiterentwickelt wurde. Auf alle erdenkliche Weise versucht man, die Kinder durch attraktive Angebote zu motivieren und ihnen bei der Überwindung ihrer Verhaltensschwierigkeiten zu helfen.

 

Dies alles war und ist mit großen Schwierigkeiten und vielen Rückschlägen verbunden, die wiederum oft auch die Helfer entmutigen. Ich nenne einige davon:

– Hohe Fluktuation der Kinder und Mitarbeiter, das heißt Unbeständigkeit der Arbeit,

– mangelnde Konzentration der Kinder, Sprachschwierigkeiten,

– aggressive Haltung Gegenständen und anderen Kindern gegenüber, Vorurteile gegeneinander,

– starkes Konkurrenzverhalten der Kinder untereinander …

 

Noch nie – glaube ich – haben wir in den sechzehn Jahren des Bestehens der Stiftung THEODOR-HEUSS-PREIS eine Medaille an eine Gruppe verliehen, die ihre selbstgestellte Aufgabe unter so schweren Bedingungen selbstverantwortlich erfüllt wie der Deutsch-Türkische Kindertreff. Aber es wurde durchgehalten und standgehalten, und dafür verdient gerade diese Gruppe besondere Anerkennung und Ermutigung.

Gerhard Mauz

Vieles, was die Nachbarschaftshilfen in ihrem Engagement beobachten und erfahren, beschreibt Gerhard Mauz im Zusammenhang mit den Hintergründen und Vorgeschichten von Strafprozessen.

Er bemüht sich nun schon seit über einem Jahrzehnt, beinahe Woche für Woche, mit Wachsamkeit, Scharfsinn und Menschlichkeit besonders diesen Teil des Prozeßhintergrundes aufzuhellen und in diesem Lichte die Aufgaben und Schwierigkeiten der Justiz bewußtzumachen. Er versucht, über den Zustand unserer Gesellschaft und die Folgen der Entscheidungen der Justiz zum Nachdenken und Umdenken anzustiften. Unabhängig von politischen Fronten und traditionellen Voreingenommenheiten nimmt er sich derer an, denen die Gerechtigkeit nicht widerfährt oder die Opfer der Gerechtigkeit werden. Er weiß und will uns wissen lassen, daß selbst die „gerechteste“ . Strafgerichtsbarkeit ein menschlich-fehlbares Mittel bleibt, die Verfehlungen der einen an den anderen aufzuhalten.

 

Er weiß und will uns erkennen lassen, daß die Justiz weder ganz gerecht sein noch einfach Gnade üben kann – und daß sie doch daran gemessen werden muß, wie nahe sie dem einen kommt und wie deut-lich sie die Notwendigkeit des anderen werden läßt. Gerhard Mauz hat darüber hinaus aus der genauen Beobachtung des Prozeßverlaufs, aus der kompetenten Analyse der Urteile, aus der Einfühlung in die Personen – die Angeklagten, Staatsanwälte, Zeugen, Gutachter, Richter, Zuschauer-immer wieder allgemeine Folgerungen für unser Gemeinwesen gezogen. Er hat die Prinzipien der Rechtspflege konsequent und mutig hochgehalten in Lagen, in denen es opportun und bequem gewesen wäre, sie zu mißachten – zum Beispiel als es um Terroristen und mißliebige Demonstranten, um Agenten und „kapitalistische“ Bankrotteure ging.

 

Im Gegensatz zu anderen Gerichtsreportern hat er nie die Skandale in der Justiz gesucht, sondern – auch wo es skandalös zuging – die tieferliegenden Schäden und Schwächen des Strafrechtssystems analysiert. Dies hat ihn zu einem im besten Sinn politischen Journalisten gemacht, der uns sowohl aus Anlaß eines Prozesses über Nazi-Verbrechen oder Gattenmord, eines gewaltsamen Grenzübertritts als auch an sich häufenden Verkehrsdelikten die moralische Unentschiedenheit und das gemeinsame gesellschaftliche Versagen aufzeigt, das hier eigentlich vor Gericht steht.

 

Seine moralische Erregbarkeit hat sich Gerhard Mauz über alle Jahre ohne Abstumpfung bewahren können, weil er verantwortungsbewußt und unbestechlich den Zweck im Auge behielt, dem die Justiz in unserem Staat und unserer Gesellschaft zu dienen hat. So mühsam und un-bequem dies manchmal für die Betroffe-nen -für uns alle – sein mag: Wir brauchen unbequeme Deuter und Mahner wie Gerhard Mauz, die sich und uns vor Selbstgerechtigkeit bewahren wollen.

 

 

Verantwortung für den Nächsten

1980