Preisträger 1967

Wolf Graf von Baudissin

Demokratisierung der Bundeswehr

Mit dem Namen Wolf Graf Baudissin verbinden sich Begriffe wie »Bürger in Uniform« und »Innere Führung«.

 

Was hat es damit auf sich? Es wäre historisch ungenau, wollte man die Demokratisierung der Bundeswehr allein ihm zuschreiben. Reformpläne für die Armee gab es übrigens schon bei Scharnhorst und Gneisenau, als deren direkter Nachfahre er sich daher auch betrachtet. Aber aus unterschiedlichen Gründen sind solche Bestrebungen immer wieder nach kurzen Anläufen gescheitert. Erst nach 1950, mit dem Aufbau der neuen deutschen Streitkräfte, begannen sich neue Vorstellungen durchzusetzen, wenn auch bis heute sehr langsam und zäh.

 

Baudissin wurde als Referent der Abteilung »Innere Führung« ins Amt Blank gerufen, das damals junge und ideenreiche ehemalige Offiziere suchte. Der frühere Major vom Stabe Rommel war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung eines neuen Soldatentypus. Er erkannte, daß eine moderne Gesellschaft wie die unsrige einen geistig beweglichen Offizier braucht, der sich vor allem durch Intelligenz und Sachkenntnis auszeichnet, den Untergebenen als Mitarbeiter betrachtet und nicht bedingungslose Ausführung seiner Befehle erwartet, sondern mitdenkenden Gehorsam.

 

Sein Partner, der Staatsbürger in Uniform, soll sich seiner persönlichen Freiheit und seiner politischen Rechte klar bewußt sein, nur dann kann er dem hohen Anspruch als selbstverantwortlich handelnder Soldat voll gerecht werden. Baudissins Richtlinien sind von dem und jenem innerhalb der Bundeswehr als »weiche Welle« glossiert worden. Er selbst hat aber immer wieder betont, daß er die sportliche und technische Kampfschulung mit allem erforderlichen Drill und ungeminderter Disziplin für unerläßlich hält. Seine Thesen sind inzwischen in das Programm der Offiziersausbildung eingebaut worden, trotz aller Anfeindungen von außen und von innen.

Preisträger 1967

Professor Ludwig Raiser

Ostpolitik

Als der Theodor-Heuss-Preis 1965 zum ersten Mal verliehen wurde, baten wir Professor Ludwig Raiser, die Festansprache zu halten. Er sprach »über den rechten Gebrauch der Freiheit«, und der Staatsrechtler Ludwig Raiser ging dabei von dem reichhaltigen Katalog unserer im Grundgesetz garantierten freiheitlichen Grundrechte aus, um gleich darauf den engagierten Demokraten Ludwig Raiser zu Wort kommen zu lassen, der besorgt darauf hinwies, wie »unsicher und wie schmal die ideelle Grundlage« sei, auf die sich die sogenannten »Väter der Verfassung« 1949 in Bann zu einigen vermochten.

 

Er sprach von der großen Popularität des Gebrauchs der Freiheitsrechte zum eigenen Vorteil, und er sprach von der geringen Neigung ihres Gebrauchs zur eigenen Verantwortung. Daran knüpfte er die Frage, wie ein politisches Gemeinwesen bestehen könne, dessen Glieder ihm weder gezwungen dienen noch freiwillig Opfer bringen wollen. Demokratie sei die Staatsform, die ihre Lebenskraft aus der tätigen Überzeugung ihrer Bürger ziehen müsse, nicht Nutznießer eines Apparates, sondern mitverantwortliche Träger des Gemeinwesens zu sein. Genau dafür, für diese tätige Überzeugung des Bürgers Ludwig Raiser gibt es viele Beispiele; denn niemals und bei keinerlei Gelegenheit fühlte er sich als »Nutznießer eines Apparates« – sei dieser Apparat die von ihm in den schwersten Nachkriegsjahren geleitete Universität Göttingen gewesen oder die in Notzeiten aufgebaute »Deutsche Forschungsgemeinschaft«, sei es die Rektorenkonferenz oder der Wissenschaftsrat, dessen Mitglied er 1958 auf Drängen von Theodor Heuss wurde, und dessen Präsidentschaft er von 1961-1965 inne hatte, oder sei es sein politisches Engagement, das im »Tübinger Memorandum« seinen Niederschlag fand und seine maßgebliche Mitarbeit im Rat der Evangelischen Kirche und in ihrem Ausschuß für Öffentlichkeitsarbeit, von dessen Mitgliedern die heiß umstrittene Denkschrift zur Vertriebenenfrage verfaßt und veröffentlicht wurde: Immer und zu jeder Zeit fühlte sich Ludwig Raiser als »mitverantwortlicher Träger des Gemeinwesens« oder – wie es Theodor Heuss vielleicht ausgedrückt hätte – als ein »Demokrat, der im Menschen den Bruder erkennt und an die fruchtbare Kraft des freien Bürgers glaubt!«

 

Wenn ich es vielleicht ein wenig despektierlich, dafür aber um so anschaulicher ausdrücken darf: Der Theodor-Heuss-Preis ist Ihnen, verehrter Professor Ludwig Raiser, und Ihrem Wirken auf den Leib geschrieben: Sie haben nämlich nicht nur eine, sondern gleich alle möglichen Bestimmungen unserer Satzung erfüllt: Vorbildliches demokratisches Verhalten, Zivilcourage angesichts schwerer öffentlicher Anfeindungen, schöpferische Initiative und ein geschärftes Verantwortungsbewußtsein für unsere Staats- undLebensform. Keiner unserer Preisträger hat für sein Wirken und bei der Erfüllung freiwillig übernommener Verantwortung einhellige Zustimmung in der Öffentlichkeit gefunden, oft sogar offene Anfeindung und Widerstände – und selbst unserer kleinen Stiftung ist es nicht viel besser ergangen, aber »der Dienst an der Freiheit ist eben ein harter Dienst«, das pflegte schon der Vater von Theodor Heuss dem jungen Sohne einzuschärfen, und jeder von uns hat diese Erfahrung in der öffentlichen Auseinandersetzung mehr als einmal erlebt und erlitten. Zu guter Letzt aber hat uns dieser harte Dienst an der Freiheit noch immer bereichert, reif gemacht und frei – und das ist wahrhaft Grund genug, ihn zu leisten.

Aktion Student aufs Land

Die Aktion »Student aufs Land« bezeichnet die Kampagne einer Gruppe Freiburger Studenten, die sich offenbar gesagt hat, was nutzt es, gegen den Bildungsnotstand zu demonstrieren, wenn wir nicht bereit sind, selber aktiv dagegen etwas zu unternehmen.

 

Also setzten sie sich zusammen und ließen sich etwas einfallen. Das Ergebnis: etwa 70 Studenten besuchten übrigens nach sorgfältiger, sachlicher und taktischer Vorbereitung – im Laufe von vier Monaten zirka 400 Landgemeinden und machten durch Vorträge und abschließende Diskussionen die Landbevölkerung mit den vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Kinder bekannt. Sie stießen auf eine erschreckende Unkenntnis der verschiedenen Schularten und Bildungswege: Ihre Idee, der erste Schritt müsse zunächst darin bestehen, Informationen anzubieten, erwies sich durchaus als zutreffend.

 

Das Unternehmen wurde anfangs ganz auf eigene Faust und ohne finanzielle Unterstützung gestartet, nach den ersten Erfolgen stellte sich auch Hilfe ein, und zwar sowohl vom Kultusministerium wie von der Industrie und den Gewerkschaften.

 

Als erste spürbare Ergebnisse dieser Bildungskampagne kann man die Anmeldungen zu den weiterführenden Schulen in Südbaden bewerten, die vielerorts beträchtlich höher liegen als in den Vorjahren. Darüber hinaus hat die »Aktion« einen Katalog von Anregungen und Vorschlägen ausgearbeitet, wie diese Bemühungen durch intensive Nacharbeit weiterentwickelt werden können. Das geht natürlich weit über den Rahmen privater Kompetenzen hinaus. Doch bleibt es das Verdienst der Studentengruppe, eine Initialzündung bewirkt zu haben.

 

Und wodurch? Durch die simple Erkenntnis, daß
1. vermutlich die vielen klugen Abhandlungen und Bücher, die Rundfunkvorträge und Fernsehdiskussionen über den Bildungsnotstand gerade dort nicht zur Kenntnis genommen werden, wo die unerschlossenen Bildungsreserven sitzen, und daß
2. das persönliche Gespräch von Mensch zu Mensch viel mehr bewirkt als es der perfekteste Vortrag je zustande bringt.

Rainer Wagner

Die zweite Theodor Heuss Medaille bekommt der 18 jährige Oberschüler Rainer Wagner.

 

Er hat als Chefredakteur der Jugendzeitschrift »Gabelmann« sowie als Verfasser vieler Beiträge ein beachtliches geistiges Niveau und staatsbürgerliches Verantwortungsbewußtsein bewiesen. Darüber hinaus hat er mancherlei unternommen, was darauf abzielte, die staatsbürgerliche Gesinnung seiner Mitbürger zu stärken. So hat er im Frühsommer 1965, als die antisemitischen Vorfälle in Bamberg die Öffentlichkeit erregten, ein Flugblatt verteilt, in dem er darauf hinwies, daß Kundgebungen allein nicht genügten, den geschädigten Ruf der Stadt Bamberg wiederherzustellen; es gelte vielmehr, »durch täglich geübte Toleranz den Andersgläubigen und Andersdenkenden gegenüber ein Beispiel zu geben«.

 

Vor der Bundestagswahl 1965 verteilte Wagner wiederum Flugblätter, in denen er vor einem Rechtsradikalismus warnte, der damals neu von sich reden machte: »Geben Sie Ihre Stimme der Partei, die Ihnen am meisten geeignet erscheint, die großen Aufgaben unserer Zeit sinnvoll anzugehen, aber verschleudern Sie sie nicht an einen gefährlichen Anachronismus… «.
Mit einer Hilfsaktion für das Bamberger Theater wandte er sich an den Gemeinsinn seiner Mitbürger. Dies sind einige Beispiele, die deutlich machen, wie hier ein junger Mann Ernst macht mit seiner Verantwortung als Staatsbürger. Bemerkenswert daran ist zweierlei:

1. daß er sich nicht durch vorschnelle Resignation (»was kann denn ich schon ändern ?«) beirren läßt, und

2. daß er es nicht wie viele seiner Altersgenossen mit negativer Kritik allein bewenden läßt, sondern zugleich auf positive Möglichkeiten des Verhaltens hinweist.

 

Darin liegt eine menschliche und sittliche Reife, die vorbildlich ist.

Verantwortung ist Bürgerpflicht

1967